003 Knochenfaustkeil
Es muss nicht immer Feuerstein sein – ein Faustkeil aus Mammutknochen
Knochenfaustkeil
Fundort
Rhede
Kreis Borken
Fundumstände
Kontext: Sandschichten der Bocholter Aa
Datum: 1982
Objekt
Material: Mammutknochen
Länge: 14,2 cm
Breite: max. 9,4 cm
Dicke: max. 3,4 cm
Datierung
ca. 70.000 Jahre
Epoche: Mittelpaläolithikum
Kultur: Keilmessergruppen
Es muss nicht immer Feuerstein sein – ein Faustkeil aus Mammutknochen
Die eindrucksvollen Szenen der Knochen schwingenden Vormenschenhorde in dem Film »2001: Odyssee im Weltraum« von Stanley Kubrick (1968) sind vielen Cineasten in Erinnerung geblieben. Bei aller dramaturgischen Zuspitzung zeigen sie ein Bild, das sich auch Wissenschaftler immer wieder vergegenwärtigen müssen: Unsere Vorstellung von einer Steinzeit, dominiert von Objekten aus Stein, ist bestenfalls die »halbe Wahrheit«.
Mit über 2,5 Millionen Jahren ist die »Steinzeit« zwar der älteste und bei Weitem längste Abschnitt unserer (Ur-)Geschichte, aber während dieser Epoche wurden nicht nur Geräte aus Stein hergestellt. Holz, Knochen, Geweih oder Elfenbein fanden ebenso Verwendung, haben sich über die langen Zeiträume aber deutlich seltener erhalten. Daher ist jedes eindeutige Nicht-Stein-Werkzeug von besonderem Interesse. Der Fund der hölzernen, 300.000 Jahre alten Schöninger Speere war ein grandioser Glücksfall für unser Nachbarbundesland Niedersachsen, so wie die Entdeckung des Knochenfaustkeils der späten Neandertaler für Westfalen. Faustkeile aus Stein sind die wohl bekanntesten steinzeitlichen Werkzeuge, die als Schlachtmesser verwendet wurden. Das herzförmige Stück aus Rhede wurde hingegen aus dem Oberschenkelknochen eines Mammuts gefertigt.
Aber ein Faustkeil aus Knochen? Funktioniert das denn? Ja, es funktioniert! Frischer, kompakter Knochen kann ähnlich gut bearbeitet werden wie Feuerstein und die dabei entstehenden Werkzeugkanten sind ebenfalls zum Schneiden geeignet. Heute ließe sich das Stück aus einer Sandgrube etwa 1 km östlich von Rhede jedoch nicht mehr verwenden. Der Faustkeil ist durch natürliche Umlagerungsprozesse in den Sandschichten so stark bewegt worden, dass die ursprünglich scharfen Längskanten stumpf und auch beschädigt wurden.
Knochenfaustkeile sind vor allem aus Italien bekannt, wo mehrere dieser Werkzeuge an etwa 300.000 bis 450.000 Jahre alten Fundstellen des Homo heidelbergensis zutage kamen. Mit einem Alter von 70.000 Jahren ist das Exemplar aus Rhede deutlich jünger, es stammt aus der Mitte der letzten Eiszeit. Dieser Faustkeil ist aber eines der wenigen überzeugenden Knochengeräte des (späten) Neandertalers aus Mitteleuropa und deshalb eine echte Rarität.
Der Neandertaler verschwand nach damaligen Maßstäben wenig später von der Weltbühne. Die jüngsten Funde sind etwa 40.000 Jahre alt. Zu dieser Zeit hatte bereits der anatomisch Moderne Mensch seinen Siegeszug um die Welt angetreten und nach und nach die älteren Menschenarten verdrängt. Wie lange Neandertaler und moderne Menschen gleichzeitig in Europa lebten, ist unklar – dass sie sich begegneten und vermischten, belegen Genanalysen aus der Levante.
Michael Baales, Bernhard Stapel
Museum
LWL-Museum für Archäologie, Herne
Weiterführende oder zitierte Literatur
Michael Baales/Hans-Otto Pollmann/Bernhard Stapel, Westfalen in der Alt- und Mittelsteinzeit (Darmstadt 2013).
Michael Baales/Bernhard Stapel, Ein Faustkeil aus Knochen: ein seltenes Werkzeug des Neandertalers aus Westfalen. In: Thomas Otten u. a. (Hrsg.), Archäologie in NRW 2010–2015. Archäologische Landesausstellung Nordrhein-Westfalen. Forschungen – Funde – Methoden. Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 11,2 (Darmstadt 2015) 244–245.
Giovanni Boschian/Daniela Saccà, In the Elephant, Everything is Good: Carcass Use and Re-use at Castel di Guido (Italy). Quaternary International 361, 2015, 288–296.
Gernot Tromnau, Ein Mammutknochen-Faustkeil aus Rhede, Kreis Borken (Westfalen). Archäologisches Korrespondenzblatt 13, 1983, 287–289.