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098 Prophetenfigur

Propheten und Könige in tragender Funktion

Figur eines Propheten mit ionischem Kapitel auf dem Kopf, gegabeltem Bart und antikem Faltengewand.

© LWL/Stefan Brentführer

Prophetenfigur (Hesekiel?)

Fundort

Münster, Domplatz 

Kreisfreie Stadt Münster

 

Fundumstände

Kontext: Fundamente des 18. Jahrhunderts

Datum: 2012

 

Datierung 

Zweitverwendung: 1750/1751

Herstellung: letztes Viertel 16. Jahrhundert

Epoche: Frühneuzeit 

Stilepoche: Spätrenaissance

 

Objekt

Material: Baumberger Sandstein

Höhe: mit Sockel und Kapitell 115 cm

Propheten und Könige in tragender Funktion

»Ist das Kunst oder kann das weg?« In Münster hat sich diese Frage gestellt, als 1750/1751 das Sandsteinskulpturenlager der Domkirche vor einem Neubau aufgeräumt wurde. Und die Antwort hat den Archäologen 2012 einige erstaunliche Fundstücke beschert. Damals musste das Pflaster des Domplatzes zwischen den beiden südlichen Querhausarmen der Kathedrale erneuert werden. Direkt darunter fanden sich die Fundamente der 1750/1751 errichteten und 1842 wieder abgerissenen »Roten Mauer«. Die Mauer war mit älteren Reliefs und Figuren geschmückt, die im Dombauhof »auf Vorrath« gestanden hatten. Und versteckt in den Fundamenten fanden sich Fragmente von Figuren und Ornamenten aus der Zeit von der Gotik bis zum Barock.

Von besonderer Bedeutung unter den Fundstücken aus dem Fundament ist eine Gruppe von Figuren, die jeweils auf schmalen Sockeln stehen und auf den Köpfen ionische Kapitelle tragen; ihre Rückseiten sind flach. Offenbar waren sie für ein Monument anstelle von Säulen oder Pilastern als gliedernde und tragende Elemente verwendet worden, am ehesten für einen Altar oder ein Grabdenkmal. Sie halten Schilde, auf denen lateinische Zitate aus der Bibel zu lesen sind. Insgesamt lassen sich sechs Figuren weitgehend zusammensetzen, eine siebte ist belegt durch einen einzelnen Kopf. Dargestellt sind Propheten, aber auch Gestalten in königlicher und militärischer Tracht. Die Bibelzitate entstammen mit einer Ausnahme dem Alten Testament und verweisen meist eindeutig auf Szenen im Leben Jesu: Geburt, Beschneidung, Geißelung und Dornenkrönung. Vermutlich waren diese Szenen am selben Monument zu sehen. 

Abgebildet ist hier die am besten erhaltene Figur, eine Prophetengestalt mit gegabeltem Bart und antikem Faltengewand. Auf dem Schild ist ein Zitat aus den Prophezeiungen des Hesekiel zu lesen, übersetzt lautet es: »Und ich bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt« (Hesekiel Kap. 36, 27). Da der zitierte Vers mit den Worten »Ich lege meinen Geist in euer Inneres« beginnt, kann er auf die Ausgießung des heiligen Geistes am Pfingstfest weisen. 

Künstlerische Qualität und ein ausgefeiltes Bildprogramm haben das Monument mit den Figuren nicht vor dem Wandel der Zeiten bewahrt. Entstanden ist es Ende des 16. Jahrhunderts wohl für die neue Domausstattung, die nach den Zerstörungen der Täuferzeit (1534/1535) notwendig geworden war. In den genannten »Vorrath« nicht mehr genutzter Skulpturen sind die Figuren vermutlich gut 100 Jahre später bei der barocken Neugestaltung des Domes geraten. Mit einigen Stücken aus diesem Lagerbestand wurde Mitte des 18. Jahrhunderts die »Rote Mauer« verziert, aber Figuren mit Kapitellen auf dem Kopf passten nicht mehr in die Zeit und gelangten so als Steinschutt in das Fundament.

Otfried Ellger

Museum

Domkammer Münster (nicht öffentlich zugänglich)

Weiterführende oder zitierte Literatur

Aurelia Dickers/Otfried Ellger, Hin und weg – bedrohte Kunst. Archäologie in Deutschland 02/2018, 32–35.

Alfred Pohlmann, Schlaun beerdigt den Manierismus – die Skulpturenfunde am Dom zu Münster. Archäologie in Westfalen-Lippe 2012, 2013, 159–162.