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055 Fußfessel

Sklavenhalter oder Schrottsammler? Auf jeden Fall Barbaren!

Fessel für die Füße, eine eiserne Kette verbindet beide Schellen.

© LWL/Stefan Brentführer

Doppelte Fußfessel mit rechteckigem Schloss

Fundort

Castrop-Rauxel-Ickern

Kreis Recklinghausen


Fundumstände

Kontext: verlandeter Emscher-Altarm in germanischer Siedlung

Datum: 17. September 2009


Objekt

Material: Eisen

Breite des Bügels: 3,2 cm

Durchmesser: innen ca. 8 cm


Datierung 

300–370 n. Chr. (Entstehung der Flussablagerungen)

Epoche: Späte römische Kaiserzeit


Import

Herstellungsregion: Römische Provinz

Herstellungszeit: 100–400 n. Chr.

Sklavenhalter oder Schrottsammler? Auf jeden Fall Barbaren!

Zahlreiche Funde in den germanischen Siedlungen der ersten vier Jahrhunderte n. Chr. zeigen, wie begehrt römische Waren bei den Menschen im westfälischen Raum waren. Feines Keramikgeschirr, Bronze- und Glasgefäße, aber auch Wein, Öl und vieles mehr wurden von »den germanischen Barbaren« jenseits des Limes geschätzt. Die Waren gelangten durch Raubzüge, aber auch durch Handel und oft sogar als Geschenke bei politischem Wohlverhalten in die rechtsrheinischen Gebiete und spiegeln den intensiven Kontakt.

Was aber konnten die Germanen den Römern eigentlich zum Tausch anbieten? Antike Autoren berichten von Bernstein und Pelzen – aber auch von Sklaven, die in die römischen Provinzen geliefert wurden. Dass Menschenhandel bei den Germanen durchaus bekannt war, schilderte Tacitus schon 98 n. Chr. in seiner »Germania«. Demnach konnte man hier beim Glückspiel seine Freiheit verlieren und als Sklave verkauft werden.

Der Austausch von Sklaven ist im archäologischen Fundmaterial aber so gut wie nicht nachzuweisen. Als mögliche indirekte Hinweise auf diese »Waren«lieferungen könnten daher die römischen Fuß- und Armfesseln angesehen werden, die sich östlich des Rheins fanden. Gleich zwei dieser im germanischen Gebiet seltenen Stücke stammen aus der Siedlung in Castrop-Rauxel-Ickern, darunter eine doppelte Fessel mit rechteckigem Schloss, das mit einem Steckschlüssel zu öffnen war. Vermutlich legte man sie um die Fußgelenke an. Die Fessel lag in einem verlandeten Altarm der Emscher direkt auf einer langen eisernen Kette – ob beide Objekte zusammengehören, lässt sich allerdings nicht mehr klären, denn sie waren nicht miteinander verbunden.

In dem alten Flussgerinne fand sich zusammen mit der Fessel eine große Menge Abfall aus der germanischen Siedlung des 4. Jahrhunderts n. Chr., darunter auch römischer Bronzeschrott, der wahrscheinlich als Rohstoff für die Produktion einheimischer Buntmetallobjekte eingeschmolzen werden sollte. Ein intensives Recycling von Metallen ist vor allem im 4. Jahrhundert auch an anderen westfälischen Siedlungsplätzen nachzuweisen. Daher ist nicht auszuschließen, dass die römische Fußfessel schon zweckentfremdet nach Ickern gelangte und dort lediglich umgeschmiedet werden sollte.

Übrigens wurden nicht nur Germanen als Sklaven in das Römische Reich geschafft, sondern auch zahlreiche Römer in das freie Germanien verschleppt, wie die schriftlichen Quellen ebenfalls berichten. Die Germanen raubten bei ihren Plünderungszügen außer den wertvollen Waren auch die Einrichtung ganzer Werkstätten und die entsprechenden Handwerker – die antike Variante des Technologietransfers.

Jürgen Pape

Archiv

Zentrales Fundarchiv der LWL-Archäologie für Westfalen, Münster (nicht öffentlich zugänglich)

Weiterführende oder zitierte Literatur

Erhard Cosack/Peter Kehne, Ein archäologisches Zeugnis zum germanisch-römischen Sklavenhandel? Archäologisches Korrespondenzblatt 29, 1999, 97–109.

Katarzyna Czarnecka, Das Grab eines Sklavenhändlers? Zum Fund eines Vorhängeschlosses aus dem baltischen Gräberfeld von Mojtyny (Pow. Mrągowski) in Masuren. Archäologisches Korrespondenzblatt 43, 2013, 397–407.

Jan Schuster, Ein römischer Fessel(?)-Kettenabschnitt aus Norddeutschland. Archäologisches Korrespondenzblatt 39, 2009, 415–423.