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061 Glasbecher

Amateure am Werk? Ein Glasbecher mit Schönheitsfehler

Unförmiger grüner Glasbecher, verziert mit einem roten Glasfaden an der Mündung.

© LWL/Stefan Brentführer

Glasbecher

Fundort

Dortmund-Asseln, Asselner Hellweg

Kreisfreie Stadt Dortmund


Fundumstände

Kontext: Körpergrab

Datum: 2003


Objekt

Material: Grünglas

Höhe: 11,2 cm

Durchmesser: 2,4–7,0 cm


Datierung 

1. Hälfte 5. Jahrhundert

Epoche: Völkerwanderungszeit

Herrschergeschlecht: Franken

Amateure am Werk? Ein Glasbecher mit Schönheitsfehler

Die Zeiten waren unruhig, das Weströmische Reich lag in den letzten Zügen, neue Herren – Franken und andere germanische Gruppen – rangelten um die Vorherrschaft. »Lebenszeichen« aus dieser dunklen Epoche sind in Westfalen selten, doch es gibt sie. So konnten Archäologen am Rand eines Urnenfriedhofes aus der Bronze- und Kaiserzeit in Dortmund-Asseln eine Körperbestattung aus dem frühen 5. Jahrhundert aufdecken.

Am Ende der Spätantike begann man, von der Totenverbrennung zur Körperbestattung überzugehen. Schon in den Jahrhunderten zuvor war das Ruhrgebiet Kontaktzone zwischen dem römischen Kulturkreis auf der linken und dem germanischen Kulturkreis auf der rechten Rheinseite. Nicht nur Waren, auch Moden, Techniken, Wissen und Gebräuche fanden über die Grenze hinweg Verbreitung. Die Verbindungen rissen offensichtlich auch während der anschließenden Völkerwanderungszeit, den »dark ages«, nicht ab. So übernahm auch die am Hellweg lebende Bevölkerung diese Bestattungssitte.

In Asseln war offenbar eine Frau beerdigt worden, alle Beigaben deuten darauf hin: ein bronzener, mit Kreisaugen und Andreaskreuzen verzierter Armreif, zwei Armbrustfibeln, ein großer Haarpfeil als Haarschmuck oder Verschluss einer Kopfbedeckung, ein Messerchen und eine Glasperlenkette aus vorwiegend kleinen, schwarzen Perlen. Ein Becher aus transparentem, grünlichem, recht blasigem Glas mit dunkelrotbrauner Glasfadenauflage rundete die teure Ausstattung der Verstorbenen ab.

Es ist der Glasbecher, der ein kleines Schlaglicht auf die Lebensverhältnisse in diesen bewegten Zeiten wirft. Scheinbar hatte der Handwerker den Aushärtungsgrad des Stückes falsch eingeschätzt, denn an einer Seite ist beim Auflegen des Glasfadens die Gefäßwandung eingesunken. Ein Fehler, der Anfängern und Autodidakten passieren konnte, erforderte doch gerade die Glasherstellung professionelle Anleitung und langjährige Erfahrung.

An zentralen Orten erzeugten Glasschmelzer in großen Öfen bei hohen Temperaturen aus Sand, Kalk und Soda die Glasmasse. Das so gewonnene Rohglas wurde im Römischen Reich an lokale Glashütten oder einzelne Handwerker weitergegeben, die die Bröckchen bei gemäßigten Temperaturen erneut einschmolzen, um sie zu Hohl- und Flachglasprodukten zu verarbeiten. Diese zweigeteilte Herstellungsweise erforderte funktionierende Vertriebswege und die Weitergabe von handwerklichen Fertigkeiten über Generationen. Glas war begehrt, die Produzenten gesuchte Spezialisten und ihre Erzeugnisse entsprechend teuer. Hatte die Familie der Verstorbenen daher Kosten sparen wollen und sich selber im Glashandwerk versucht oder ein günstigeres Lehrstück erworben?

Henriette Brink-Kloke, Ingmar Luther

Weiterführende oder zitierte Literatur

Patrick Könemann, Gräber der römischen Kaiserzeit und frühen Völkerwanderungszeit von Dortmund-Asseln. Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe 12, 2015, 201–275.

Christoph Grünewald, Ausgrabungen in Beelen – Neue Erkenntnisse zur Frühgeschichte im östlichen Münsterland. In: Heinz Günter Horn u.a. (Hrsg.), Ein Land macht Geschichte. Archäologie in Nordrhein-Westfalen. Ausstellungskatalog Köln, Münster. Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 3 (Mainz 1995) 289–294.

Martin Zimmermann, Glashandwerker im Frühmittelalter. Archäologische Informationen 38, 2015, 559–562.