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089 Lichtstock

Aus Ton geformt, zu Stein gebrannt – Ziegel und Fabelwesen

Figürlicher Lichtstock

Fundort

Wadersloh-Liesborn, Stiftsziegelei Cappel

Kreis Warendorf


Fundumstände

Kontext: Abraum der Ziegelei

Datum: 2015


Objekt

Material: rote Irdenware

Corpus: erhaltene Länge 10,9 cm

Kopf: Durchmesser 4,9 cm


Datierung 

spätes 15. und 16. Jahrhundert

Epoche: Spätmittelalter/Frühneuzeit

Stilepoche: Gotik/Renaissance

Aus Ton geformt, zu Stein gebrannt – Ziegel und Fabelwesen

Backsteinbauten, Ziegeldächer und Klinkerfassaden prägen unsere gebaute Umwelt. So stellen handwerklich und industriell gefertigte Produkte aus gebranntem Lehm bzw. Ton heute in Westfalen wie andernorts einen ganz selbstverständlichen Baustoff dar. Doch dies ist in unseren Breiten noch gar nicht so lange der Fall. Erste Bauten aus noch ungebrannten Ziegelsteinen finden sich im Vorderen Orient zwar schon vor ca. 10.000 Jahren, gebrannte Ziegel gibt es seit etwa 6500 Jahren. In unseren Kulturraum kam die Technik der Ziegelherstellung aber erst mit den Römern – und verschwand mit ihnen auch wieder.

Ziegeleierzeugnisse in antiker Tradition lassen sich vereinzelt erst wieder im Karolingerreich nachweisen. Sie dienten sowohl der Dachdeckung als auch – in plastischer Ausführung – der Verzierung von Fassaden und Dachkonstruktionen. Produziert wurden sie in den Ziegeleien der Klöster. Da Leistenziegel nach römischem Vorbild und Flachziegel einen hohen Repräsentationswert besaßen, fanden sie im frühen Mittelalter in Westfalen bei Sakralbauten wie in Corvey und bei Pfalzen wie in Paderborn Verwendung. Im hohen Mittelalter traten neben diese Flachziegel dann die halbrunden Hohlziegel zum Beispiel vom Typ »Mönch und Nonne«, die als Dachpfannen nun häufiger verwendet wurden, auch bei den Bauten des Adels. Durch die Herausbildung der städtischen Gesellschaft mit den dicht gedrängten Häusern in den Städten stieg die Brandgefahr, weshalb es im späten Mittelalter schließlich zur Gründung von stadteigenen Ziegeleien kommt, um Brandschutzverordnungen, wie das Verbot von Strohdächern – zum Beispiel 1377 in Dortmund und 1419 in Coesfeld –, und die Einführung von harten Dacheindeckungen mit Dachpfannen zu erleichtern.

Repräsentative Backsteinbauten treten in Westfalen erstmalig im späten 12. Jahrhundert auf. So verwendeten Zisterziensermönche beim Bau ihres Klosters in Marienfeld und beim Tor- und Kapellenturm der Burg Rheda diesen innovativen Baustoff. Endgültig setzen sich Backsteinbauten im Verlauf des späten Mittelalters vor allem in den steinarmen Regionen durch.

Neben den bereits erwähnten Baukeramiken wurden in den Ziegeleien aber auch zahlreiche weitere Produkte gefertigt, die im Haushalt, Handwerk oder im Stall Verwendung fanden. Dazu gehörten großformatige, dickwandige Gefäße wie Wannen, Schalen und Pfannen, Flachdeckel mit diversen Kerb-, Ritz- und Stempeldekoren sowie Feuerböcke und Bratspießhalter. Zur Produktpalette zählten ferner Lichtstöcke, die zur Aufnahme von Kerzen und Kienspänen dienten. Eher die Ausnahme waren allerdings figürliche Lichtstöcke, wie unser Exemplar in Form eines vierfüßigen Fabelwesens mit menschlichem Antlitz aus der Stiftsziegelei Cappel.

Hans-Werner Peine

Archiv

Zentrales Fundarchiv der LWL-Archäologie für Westfalen, Münster (nicht öffentlich zugänglich)

Weiterführende oder zitierte Literatur

Willi Bender, Vom Ziegelgott zum Industrieelektroniker. Geschichte der Ziegelherstellung von den Anfängen bis heute (Bonn 2004).

Alfred Falk, Menschen- und Tierplastiken aus Ziegelton. Beispiele aus Lübeck. In: Ulrich Masemann (Hrsg.), Forschungen zur Archäologie und Geschichte in Norddeutschland. Festschrift Wolf-Dieter Tempel (Wümme 2002) 331–340.

Andreas Immenkamp (Hrsg.), Ziegelei Lage. Museumsführer (Essen 2001).

Hans-Werner Peine, Neue Erkenntnisse zur Produktpalette der Stiftsziegelei Cappel in Wadersloh-Liesborn. Archäologie in Westfalen-Lippe 2015, 2016, 155–161.

Eugen Teigeler, Die Cappelsche Ziegelei in der Liesborner Bauernschaft Suderlage. Westfalen 78, 2000, 393–406.

Jutta Tiemeyer, Zieglerprodukte aus der ehemaligen Cappelschen Ziegelei in der Bauernschaft Suderlage, Gemeinde Wadersloh-Liesborn. Westfalen 78, 2000, 407–475.

Tönerner Lichtstock in Form eines vierfüßigen Fabelwesens mit menschlichem Antlitz, der zur Aufnahme von Kerzen oder Kienspänen diente.

© LWL/Stefan Brentführer