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075 Kreuzigungsgruppe

Eine unerhörte Geschichte – das Christentum verbindet Europa

Anhänger mit Kreuzigungsgruppe

Fundort

Paderborn, Wüstung Balhorn

Kreis Paderborn


Fundumstände

Kontext: Wüstung

Datum: September 1998


Objekt

Material: Walrosselfenbein

Höhe: 3,9 cm

Breite: 2,4 cm

Dicke: bis 0,5 cm


Datierung 

900–1000

Epoche: Früh-/Hochmittelalter

Herrschergeschlecht: Karolinger, Ottonen

Eine unerhörte Geschichte – das Christentum verbindet Europa

Jesus hängt am Kreuz. Schergen haben Nägel durch seine Hände und Füße geschlagen und alle können sehen, wie er leidet. Er wird sterben. Und dennoch: Er vergibt seinen Mitmenschen und bittet auch Gott, ihnen zu vergeben. Diese unerhörte Geschichte hat die Menschen vor über 1000 Jahren bewegt. Ein Handwerker stellte das Geschehen trotz seiner begrenzten Fähigkeiten plastisch dar: Maria, die Mutter Jesu, steht links vom Kreuz und schaut der brutalen Hinrichtung mit Entsetzen zu. Ihr gegenüber ist der Jünger und spätere Apostel Johannes zu sehen: auch er in tiefster Trauer.

Der Moment der Kreuzigung, bei der Jesus für die Sünden der Menschheit stirbt, ist die Schlüsselszene im Evangelium, das Kreuz, an dem er gestorben ist, das zentrale Zeichen des christlichen Glaubens. So wundert es nicht, dass die ländliche Bevölkerung im Sachsenland solche Anhänger als Heilszeichen am Hals trug. Als das in der Siedlung Balhorn gefundene Exemplar im 10. Jahrhundert verloren ging, hatte sich dort das Christentum bereits seit über 100 Jahren gefestigt. Weit verbreitete christliche Symbole zeigen, dass es im Alltag der Menschen angekommen war.

Geschnitzt hatte ein Kunsthandwerker diesen Anhänger aus Walrosselfenbein. Den kostbaren Rohstoff bekam er möglicherweise von Mönchen aus dem anglo-irischen Bereich. Da das Christentum damals die entlegensten Regionen Europas miteinander verband, ist das fremde Material in einer Siedlung am Hellweg nicht ungewöhnlich; ein vergleichbarer Fund stammt aus einer nur 30 km entfernten Siedlung. Einfachere Kruzifixanhänger waren im 10. und 11. Jahrhundert sehr beliebt und wurden von Bronzegießern in großen Serien hergestellt. Der Balhorner Anhänger war aber wohl schon etwas älter, als er in die Erde gelangte, denn ein Teil war bereits abgebrochen.

Interessant ist auch der Fundort des Kruzifixes, symbolisiert er doch das ewige Auf und Ab in der Geschichte. Als der Anhänger im 10. Jahrhundert verloren ging, bestand die Siedlung Balhorn bereits seit mindestens 300 Jahren. Der Ort war gut gewählt: Die fruchtbaren Böden sicherten den Bauern reiche Ernten und die nahe gelegene Alme bot genügend Wasser für das Vieh. Schon früher hatten daher hier Siedler immer wieder Höfe errichtet, zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert legten die Bauern erstmals dauerhafte Hofplätze an. Im 14. Jahrhundert gaben die letzten Bewohner Balhorn dennoch endgültig auf – ebenso, wie auch zahlreiche andere Siedlungen verlassen wurden und wüst fielen: Eine tiefgreifende Krise, ausgelöst durch zahlreiche Fehden, Klimawandel und Pest erfasste damals ganz Europa und führte zu einem weitgehenden Zusammenbruch des Kulturlandschaftsgefüges. Eines blieb vorerst jedoch unverändert: die Religion.

Sven Spiong

Museum

Weiterführende oder zitierte Literatur

Georg Eggenstein/Victor H. Elbern, Ein mittelalterlicher Anhänger mit Kreuzigungsgruppe aus Balhorn bei Paderborn. Mit einem Beitrag von Arun Banerjee. Archäologisches Korrespondenzblatt 31, 2001, 637–654.

Alexandra Pesch/Sven Spiong, Aus der Heimat für die Heiden … Archäologie in Deutschland 4/2000, 48.

Gelblicher Anhänger aus Walrosselfenbein, der die Kreuzigung Jesu zeigt.

© LWL/Stefan Brentführer