Transkript anzeigen Abspielen Pausieren

077 Elfenbeinkamm

Die Burgherren wussten, wie der Hase läuft!

Doppelkamm

Fundort

Warburg, Holsterburg

Kreis Höxter


Fundumstände

Kontext: Burg

Datum: 18. Mai 2017


Objekt

Material: Elefantenelfenbein

Höhe: noch 6,3 cm, ursprünglich ca. 8,5 cm

Breite: max. 7,1 cm

Dicke: 0,7 cm


Datierung 

vor 1170

Epoche: Hochmittelalter

Herrschergeschlecht: Staufer

Stilepoche: Romanik


Import

Herstellungsregion: unklar (Byzantinisches Reich, Metz, Lüttich, Köln oder eines der Weserklöster)

Herstellungszeit: 12. Jahrhundert

Die Burgherren wussten, wie der Hase läuft!

Kämme aus dem Mittelalter sind im archäologischen Fundgut immer wieder vertreten. Dies entbehrt auch nicht einer gewissen Logik, waren Kämme doch schon damals alltägliche Gebrauchsgegenstände. In der Regel sind die aus Horn oder Knochen gefertigten mittelalterlichen Exemplare dementsprechend auch gar nicht oder nur unscheinbar verziert. Einige Stücke stechen jedoch aus dieser Masse eindrucksvoll heraus – und in diesem Falle gilt dies sogar für Objekt und Fundort gleichermaßen.

Der vorliegende Kamm stammt von der Holsterburg bei Warburg, die zu den wenigen oktogonalen, also achteckigen Burganlagen des hochmittelalterlichen Europas gehört und in Westfalen völlig singulär ist. Sie kann somit zu Recht als Architektur von europäischem Rang bezeichnet werden, zumal ihre Bauausführung auf allerhöchstem Niveau erfolgte.

Mit dem Kamm von der Holsterburg, einem sehr kostbaren einteiligen Doppelkamm aus Elefantenelfenbein, bewegen wir uns in diesem Zusammenhang auf vergleichbarem Level. Das Objekt weist in seinem rechteckigen Mittelteil beidseitig jeweils ein ausgesprochen kunstvoll gearbeitetes Bildmotiv auf. Vergleichbare, meist als »liturgisch« bezeichnete Elfenbeinkämme gehören in der Regel in den Bestand von Kirchenschätzen. Sie werden bis heute teilweise mit Heiligen, Königen und Kaisern in Verbindung gebracht und sind eigentlich nie in den Boden gelangt. Der Gebrauch »liturgischer Kämme« ist seit dem 10. Jahrhundert nachweisbar. Mit ihnen wurden nach dem Anlegen der Messgewänder die Haare geordnet, eine symbolische Handlung zur Ordnung der Gedanken auf das heilige Geschehen hin. Lassen sich derartige Kämme bereits selten in kirchlichen Schatzkammern nachweisen, so sind entsprechende Stücke aus Elfenbein mit Bildmotiv im profanen Bereich kaum vertreten.

Wegen des kostbaren Materials und der qualitätvollen Ausführung kann der Kamm von der Holsterburg dieser kleinen Gruppe der »liturgischen Kämme« aus dem Zeitraum zwischen 800 und 1200 zugewiesen werden, nur ca. 60 Stück sind derzeit bekannt. Ihn zeichnet jedoch aus, dass er »ausgegraben« wurde und nachweislich nicht dem sakralen Milieu entstammt, sondern eindeutig für einen adeligen Käufer gefertigt wurde.

Für seine Herstellung kommen mehrere Werkstätten in Betracht: Während Helmarshausen (Stadt Bad Karlshafen) und Köln in relativer Nähe zum Fundort liegen, stehen die weiteren möglichen Produktionsorte wie Metz oder Lüttich ebenfalls für eine europäische Perspektive. Nimmt man darüber hinaus das Byzantinische Reich als letzte denkbare Ursprungsregion des Kammes hinzu, würde diese Perspektive sogar noch deutlich erweitert werden.

Hans-Werner Peine, Kim Wegener

Archiv

Zentrales Fundarchiv der LWL-Archäologie für Westfalen, Münster (nicht öffentlich zugänglich)

Weiterführende oder zitierte Literatur

Hans-Werner Peine/Kim Wegener, Zur repräsentativen Außenfassade der Holsterburg bei Warburg (Nordrhein-Westfalen). Eine oktogonale Ringmauer aus archäologisch-bauhistorischer Perspektive. Burgen und Schlösser. Zeitschrift für Burgenforschung und Denkmalpflege 3/2017, 149–165.

Hans-Werner Peine/Kim Wegener, Burgbewohner verliert kostbaren Kamm aus Elfenbein. Archäologie in Deutschland 1/2017, 50.

Hans-Werner Peine/Kim Wegener, Von filigran bis katastrophal – Elfenbeinkamm, Spielstein und Schadereignisse. Archäologie in Westfalen-Lippe 2017, 2018, 111–115.

Hans-Werner Peine/Kim Wegener, Die Holsterburg bei Warburg. Zeugnis von Innovation und Konflikt. In: Matthias Wemhoff/Michael M Rind. (Hrsg.), Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland. Ausstellungskatalog Berlin (Petersberg 2018) 410–412.

Mirjam Luise Schmidt, Liturgische Elfenbeinkämme von 800–1200. Eine Analyse von Stil, Form, Darstellungsinhalt und historischer Überlieferung (Saarbrücken 2010).

Kamm aus Elfenbein, der als Verzierung einen Hund zeigt, der einen Hasen jagt.

© LWL/Stefan Brentführer

Video

Von 2010 bis 2017 grub die LWL-Archäologie für Westfalen in der Nähe von Warburg die Holsterburg, den Fundort des Kammes, vollständig aus. Die stauferzeitliche Wehranlage gehört zu den sehr seltenen achteckigen Burganlagen des hochmittelalterlichen Europas. In einem 10 minütigen Film wird ein Bogen von der Entdeckung der Anlage über die Ausgrabungen bis zur Rekonstruktion als 3-D-Modell geschlagen.