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084 Kasel

Hundsköpfige Greife für einen katholischen Priester

Dunkelbraunes Stoffstück, in dessen Mitte sich zwei hundsköpfige Greife gegenüberstehen, am rechten Rand ist ein Rankenmuster erkennbar.

© LWL/Stefan Brentführer

Rückenteil einer Glockenkasel (Priestergewand)

Fundort

Werne, Kirche St. Christophorus

Kreis Unna


Fundumstände

Kontext: Klerikergrab in der Kirche

Datum: November 1995


Objekt

Material: italienische Seide

Breite: 120 cm

Höhe: 129 cm


Datierung 

14. Jahrhundert

Epoche: Spätmittelalter

Stilepoche: Gotik

Niederlegung: frühes 16. Jahrhundert


Import

Herstellungsregion: Italien und Köln

Herstellungszeit: frühes 14. Jahrhundert

Hundsköpfige Greife für einen katholischen Priester

Nicht selten bieten Ausgrabungen spannende Erkenntnisse, von denen selbst die Archäologen überrascht werden – so auch 1995 bei der Untersuchung der Pfarrkirche St. Christophorus in Werne, als ein Grabungsteam eine Bestattung freilegte, die sich direkt vor dem Chor befand und nicht nur wegen ihrer herausgehobenen Lage, sondern auch wegen eines sensationellen Textilfundes bemerkenswert war.

Im Rumpfbereich des hier Bestatteten lag ein dunkelbraunes Stoffknäuel, auf dem Oberkörper kleinere Stoffreste und über der linken Schulter und dem Brustbereich Bortenfragmente. Textilrestauratoren konnten aus diesen unscheinbaren Resten die Rückseite einer prächtigen Kasel, eines liturgischen Priestergewandes, rekonstruieren. Der Schnitt erinnert an eine Glockenkasel, deren halbkreisförmige Vorder- und Rückseite unter Aussparung einer Kopföffnung zusammengenäht waren. Herstellungstechnik und Muster datieren den kostbaren Stoff aus italienischer Seide in das frühe 14. Jahrhundert.

Auf senkrechten Streifen sind noch schwarze, rote und grüne Muster erkennbar: Zwischen Rankenwerk richten sich hier Drachen und Löwen auf, zwischen Pinienzapfen und Palmetten stehen sich jeweils Gazellen und hundsköpfige Greife gegenüber. Eine Seidenborte in Form eines Gabelkreuzes war zwischen den Inschriften ZANTA und MARIA ursprünglich mit goldenem Stern und Rosette verziert. Diese Borte lag der Kasel auf, eine schmalere umfasste den Halsausschnitt. Beide sind der künstlerisch und technisch hochstehenden Kölner Seidenweberei des 14. Jahrhunderts zuzuordnen. In das Grab gelangte die Kasel erst im frühen 16. Jahrhundert, als sich ein verdienstvoller Kleriker mit dem weitaus älteren, als kostbar empfundenen Gewand beisetzen ließ.

Der christliche Glaube hatte zu diesem Zeitpunkt seine volle Blüte erreicht. Dabei war seine Einführung während und nach den Sachsenkriegen Karls des Großen keineswegs leicht gewesen (→ Nr. 071). Bereits seit etwa 800 ging die Gründung von Pfarrkirchen und Klöstern von den Bischöfen, aber auch von den frühen Karolingerkönigen und dem sächsischen Hochadel aus. Zu den ältesten Pfarrkirchen des Münsterlandes wird auch die in Werne gezählt. War das Pfarrkirchensystem anfangs noch grobmaschig, verfeinerte es sich bis 1300 so weit, dass jede größere Siedlung über ein eigenes Gotteshaus verfügte. Pfarreien gliederten schließlich das ganze Land, die kirchlichen Strukturen durchdrangen alle Lebensbereiche und die Gläubigen sicherten mit zahlreichen Stiftungen deren Erhalt. Der Kaselfund von Werne demonstriert nachdrücklich Reichtum und Traditionsbewusstsein der Amtskirche im mittelalterlichen Westfalen kurz vor der Reformation.

Birgit Münz-Vierboom, Cornelia Kneppe

Weiterführende oder zitierte Literatur

Otfried Ellger, Kirche und Christentum in archäologischen Funden und Befunden. In: Gabriele Isenberg/Barbara Rommé (Hrsg.), 805: Liudger wird Bischof. Spuren eines Heiligen zwischen York, Rom und Münster. Ausstellungskatalog Münster (Mainz 2005) 55–62.

Sabine Heitmeyer-Löns/Birgit Münz, Ausgrabungen in Werne – Ein bedeutender Textilfund in der Pfarrkirche St. Christophorus. In: Heinz Günter Horn/Hansgerd Hellenkemper/Gabriele Isenberg/Harald Koschik (Hrsg.), Fundort Nordrhein-Westfalen. Millionen Jahre Geschichte. Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 5. Ausstellungskatalog Köln, Münster, Nijmegen (Mainz 2000) 412–414.

Uwe Lobbedey, Die Kirchenbauten des Mittelalters im Bistum Münster. In: Géza Jászai (Hrsg.), Imagination des Unsichtbaren. 1200 Jahre Bildende Kunst im Bistum Münster, Teil 1, Ausstellungskatalog Münster (Münster 1993) 172–213.

Birgit Münz/Cornelia Kneppe, Archäologische Untersuchungen in der katholischen Pfarrkirche St. Christophorus in Werne, Kreis Unna. Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe 9/C, 1999, 63–96.

Karen Stolleis, Messgewänder aus deutschen Kirchenschätzen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Geschichte, Form und Material (Regensburg 2001).

Brigitte Tietzel, Italienische Seidengewebe des 13., 14. und 15. Jahrhunderts. Kataloge des deutschen Textilmuseums Krefeld 1 (Köln 1984).