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088 Handschuh

Mit viel Fingerspitzengefühl restauriert

Handschuh

Fundort

Paderborn

Kreis Paderborn


Fundumstände

Kontext: Stadtkern

Datum: 2006


Objekt

Material: Ziegenleder

Länge: 21,5 cm

Handschuhgröße: 7–8


Datierung 

14./15. Jahrhundert

Epoche: Spätmittelalter

Stilepoche: Renaissance

Mit viel Fingerspitzengefühl restauriert

Trocken und warm, aber luftdurchlässig und atmungsaktiv? Robust, aber chic? Mit diesen Eigenschaften werden heute Gewebe wie Gore-Tex oder Softshell beworben. Doch nicht erst moderne Textilien für Funktionskleidung erfüllen unseren Wunsch nach Stoffen, die widersprüchliche Eigenschaften vereinen, sondern auch traditionelle Materialien wie Wolle und Leder. Ein spätmittelalterlicher Handschuh, der bei einer Grabung in Paderborn östlich des Rathauses am Kötterhagen zutage kam, ist in dieser Hinsicht bemerkenswert. Seine Gestaltung ist außergewöhnlich und singulär in Europa. 

Der schmale Schnitt dieses ledernen linken Fausthandschuhs legt nahe, dass er von einer zierlichen Person getragen wurde. Seine Enden sind offen, sodass die Finger etwa ab dem letzten Glied frei lagen. Der untere Rand wurde zu einer Krempe umgeschlagen und den Handrücken verziert ein eingestanztes Kleeblattmuster. Der Handschuh weist zwar kaum Gebrauchsspuren auf, aber unter der Krempe wurde auf einen kleinen Riss ein Flicken genäht. Form und Verzierung machen den Fäustling zu einem Einzelstück, zu dem keine Vergleiche bekannt sind – über seine Funktion können wir daher nur spekulieren. Das nur einen Millimeter dicke Leder bietet der Hand einen leichten Schutz, doch die offene Seite erhält das Fingerspitzengefühl. Das durchbrochene Muster macht den Handschuh nicht nur luftig, sondern verleiht ihm auch eine schlichte Eleganz. 

Der Handschuh ist die einzige Lederware in diesem Band. Funde aus Leder sind selten, da es sehr vergänglich ist. Es überdauert die Jahrhunderte im Boden nur unter günstigsten Bedingungen: entweder bei starker Trockenheit oder in sehr feuchten Böden. Wenn die klimatischen Bedingungen stimmen, kommen vor allem bei Grabungen in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten aber häufiger Objekte aus diesem Material zutage, da vor allem Lederschuhe im Mittelalter Massenware waren. Schuhe konnte sich damals nahezu jeder leisten – allerdings in unterschiedlicher Qualität. Altes Leder wurde von Flickschustern recycelt; nur was nicht mehr zu gebrauchen war, landete auf Müllhaufen oder in Latrinen. 

Wenn das Leder frisch aus dem Boden kommt, ist es meist feucht und flexibel. Ohne eine schnelle Konservierung trocknet es aber aus, wird hart, brüchig und schrumpft. Eine Rückformung der Lederfragmente in den ursprünglichen Zustand ist dann kaum noch möglich. Dieses Rückformen und Montieren der Fragmente entsprechend ihrer früheren Position ist aber wichtig, um Aussagen über das ehemalige Aussehen und die Funktion der jeweiligen Stücke treffen zu können. Bei diesem Handschuh kamen Finderglück und restauratorisches Können zusammen.

 

Susanne Bretzel-Scheel, Nils Wolpert

Museum

Weiterführende oder zitierte Literatur

Rainer Atzbach, Leder und Pelz am Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit. Die Funde aus den Gebäudehohlräumen des Mühlberg- Ensembles in Kempten (Allgäu). Bamberger Schriften zur Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 2 = Mühlbergforschungen Kempten (Allgäu) 1 (Bonn 2005). 

Maren Gaertner-Krohn, Lederschuhe des 14. und 15. Jahrhunderts aus der Paderborner Stadtkerngrabung am Kötterhagen. Untersuchungen zur Konstruktion, Funktion und zur sozialen Bedeutung (Magisterarbeit Universität Hamburg 2008). 

Olaf Goubitz/Carol van Driel-Murray/Willy Groenman- van Waateringe, Stepping Through Time. Archaeological Footwear from Prehistoric Times until 1800 (Zwolle 2001). 

Hartmut Roder (Hrsg.), Schuhtick. Von kalten Füßen und heißen Sohlen. Ausstellungskatalog Herne, Mannheim, Bremen (Mainz 2008).

Hellbrauner Lederhandschuh mit eingestanztem Kleeblattmuster, Krempe am Handgelenk und offenen Enden an den Fingerspitzen.

© LWL/Stefan Brentführer