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091 Sturzbecher

Prächtige Hofhaltung – mehr Luxus für mich und meine Gäste!

Eiförmiger Becher, auf dem eine sitzende Männerfigur in spanischer Tracht modelliert ist

© LWL/Stefan Brentführer

Sturzbecher mit sitzender Männerfigur

Fundort

Gelsenkirchen, Schloss Horst

Kreisfreie Stadt Gelsenkirchen


Fundumstände

Kontext: Schloss

Datum: 1991


Objekt

Material: vollentwickeltes Steinzeug

Höhe: 33,5 cm


Datierung 

um 1560/1570

Epoche: Frühneuzeit

Stilepoche: Renaissance


Import

Herstellungsort: Siegburg

Herstellungszeit: um 1560

Prächtige Hofhaltung – mehr Luxus für mich und meine Gäste!

Zu einem der Aufsehen erregendsten und viel diskutierten Funde der westfälischen Neuzeitarchäologie zählt ein großer Sturzbecher mit aufmodellierter, sitzender Männerfigur von Schloss Horst in Gelsenkirchen. Das im rheinischen Siegburg gefertigte Stück, das nur auf seiner Mündung abgestellt werden kann – also in einem Zug geleert werden musste –, stellt ein ausgesprochenes Spitzenprodukt des Töpferhandwerks dar. Seine Mündung war wahrscheinlich in Edelmetall gefasst, wie ein schmaler Streifen am Randabschluss vermuten lässt. Den eiförmigen Gefäßkörper ziert ein Mann in zeitgenössischer spanischer Tracht. Auf der Brust und am Kinn der mit einem Barett dargestellten Figur lässt sich ein zweizipfeliger langer Bart rekonstruieren.

Schloss Horst ist einer der ältesten und wichtigsten Renaissancebauten in Westfalen. Es wurde ab 1554 als Wasserschloss errichtet, nachdem die alte Burg abgebrannt war. Wie auch an anderen Orten stand der Schutzaspekt, den die mittelalterlichen Wehrbauten gewährleistet hatten, nicht mehr im Vordergrund. Stattdessen wollten die Herren jetzt ihren gehobenen Wohn- und Repräsentationsansprüchen deutlicher Ausdruck verleihen – so auch Rütger von der Horst (1519–1582) im Vest Recklinghausen. Dazu gehört, dass sich der Schlossherr sowohl an der Bauplastik am Schloss als auch auf einem Portraitgemälde darstellen ließ. Die Gestaltung der Sitzfigur auf dem Sturzbecher findet erstaunliche Parallelen in diesen Abbildungen des Bauherren und lässt auch hier an eine direkte Auftragsarbeit denken. Die Identifizierung der dargestellten Person wird allerdings ebenso diskutiert, wie der Rest der Darstellung. Der Sturzbecher könnte nämlich auch Rütgers Dienstherren Salentin von Isenburg zeigen. Dieser war von 1567 bis 1577 Kurfürst und Erzbischof von Köln und Ähnlichkeiten sind auch zu dessen zeitgenössischen Darstellungen gegeben. Somit könnte der Horster Sturzbecher von Rütger auch als Willkommpokal für seinen Landesfürsten Salentin von Isenburg genutzt worden sein.

Was aber hielt der Mann in der Hand: Handschuhe, eine Pfeife oder wiederum ein Trinkgefäß? Ein »Pfeife rauchender Schlossherr« ist aufgrund der gesicherten Datierung des Sturzbechers wenig wahrscheinlich, da dies einen zu frühen Beleg des Tabaks als Genussmittel (→ Nr. 097) im deutschsprachigen Raum darstellen würde.

Aber wie auch immer: Unser Becher und seine äußerst seltenen Vergleichsfunde dienten den jeweiligen Schlossherrn definitiv zur Selbstdarstellung in geselliger Runde oder als »Gesundheitsbecher«, aus dem alle Teilnehmer einer Festtafel nacheinander auf die Gesundheit eines Gastes – oder des Hausherren – getrunken haben.

Hans-Werner Peine

Weiterführende oder zitierte Literatur

Hans-Werner Peine, Prächtige Hofhaltung auf Schloß Horst. In: Elmar Alshut/Guido v. Büren/Marcell Perse (Hrsg.), Ein Schloß entsteht ... Von Jülich im Rheinland bis Horst in Westfalen (Jülich 1997) 255–262.

Hans-Werner Peine, Dodiko, Rütger von der Horst und Simon zur Lippe. Adelige Herren des Mittelalters und der frühen Neuzeit auf, Burg, Schloß und Festung. In: Westfälischen Museum für Archäologie (Hrsg.), Hinter Schloss und Riegel – Burgen und Befestigungen in Westfalen. Ausstellungskatalog Münster (Münster 1997) 160–223.

Hans-Werner Peine, Herrschaft und Repräsentation. Burgen, Bergrecht, Adel. In: Wilfried Menghin/Dieter Planck (Hrsg.), Menschen, Zeiten, Räume – Archäologie in Deutschland. Ausstellungskatalog Berlin (Berlin, Stuttgart 2002) 383–388.

Hans-Werner Peine, Haus Horst im Emscher Bruch. Ein kleiner Adelssitz im Fokus der westfälischen Mittelalterarchäologie. Burgen und Schlösser – Zeitschrift für Burgenforschung und Denkmalpflege 4, 2017, 202–221.

Hans-Werner Peine/Bernd Thier, Kat.-Nr. 247 Sturzbecher mit sitzender Männerfigur in spanischer Tracht. In: LVR-LandesMuseum Bonn (Hrsg.), Renaissance am Rhein (Ostfildern 2010) 367–369.