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094 Werraware

Was zu beweisen war – Archäologie als langwieriger Indizienprozess

Schüssel mit Pelikanmotiv und Jahreszahl 1635

Fundort

Höxter, Kanne-Oeynhausenscher Hof, Weserstraße 10

Kreis Höxter


Fundumstände

Kontext: Abortschacht Adelshof

Datum: Dezember1988


Objekt

Material: bemalte, bleiglasierte Irdenware (Werraware)

Höhe: 8,8 cm

Randdurchmesser: 29,1 cm

Bodendurchmesser: 11,3 cm


Datierung 

1635

Epoche: Frühneuzeit

Stilepoche: Barock

Was zu beweisen war – Archäologie als langwieriger Indizienprozess

Lange Zeit stand bei der Erforschung der in Nordhessen, Südniedersachsen und Westthüringen beheimateten Werraware die Frage im Raum, ob diese reichverzierte Irdenware auch im ostwestfälischen Höxter hergestellt wurde. Sie zählt zu den bedeutendsten und aufwendigsten Erzeugnissen der deutschen Irdenwaretöpferei in den Jahrzehnten um 1600. Vor dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) war sie ein wahrer Exportschlager, der vor allem in den Nord- und Ostseeraum verhandelt wurde. Vereinzelt gelangten Stücke sogar bis in die Neue Welt. Als das Kriegsgeschehen zu Beginn der 1620er-Jahre die Region der Werraware-Töpfereien erreichte, kam deren Produktion zum Erliegen.

Jedoch wurden in Höxter mehrere inschriftlich datierte Teller und Schüsseln ausgegraben, die jüngeren Datums sind und Jahreszahlen bis 1644 aufweisen. Diese Funde legten die Vermutung nahe, dass eventuell auch in Höxter Werraware hergestellt wurde, und zwar in einer Spätphase. Zu ihnen gehört die abgebildete Schüssel von 1635 mit dem christlichen Pelikanmotiv, einem Symbol für die Liebe Gottes sowie die Erlösung durch den Opfertod Christi. Es geht zurück auf eine frühchristliche Legende, der zufolge der Pelikan mit dem Schnabel seine Brust öffnet, um mit seinem Blut seine toten Jungen wiederzubeleben. Fazit: Der Nachwuchs lebt, der entkräftete Altvogel verstirbt.

Neuen Diskussionsstoff lieferten Funde von unglasiertem Werraware-Geschirr in der Stadt. Da derartige Schrüh- oder Rohbrände bekanntlich nicht in den Handel und Export gelangten, verdichteten sich die Hinweise auf eine lokale Produktion.

Der endgültige archäologische Beweis in Form von Töpferabfallgruben mit Werraware-Fehlbränden oder von Töpferöfen mit entsprechendem Material fehlte aber immer noch. Wie der Zufall nun so spielt, wurde 2014 bei der Aufarbeitung einer Baustellenuntersuchung von 1989 erkannt, dass sich in der dokumentierten Baugrubenwand unscheinbare, aber letztlich eindeutige Reste eines Töpferofens erhalten hatten. Der Ofen war den Baggerarbeiten unerkannt zum Opfer gefallen. Aus dem Ofenrest konnten damals jedoch noch einige wenige Bruchstücke von Werraware-Gefäßen geborgen werden, die beim Brennen verunglückt waren. So kam es schließlich in einem spannenden, über zwei Jahrzehnte währenden Indizienprozess zu einem zweifelsfreien Urteil: Ja, auch in Höxter wurde Werraware hergestellt!

Bedauerlicherweise konnte der Name des Töpfers bisher nicht ermittelt werden. Auch wann die Produktion in der Stadt einsetzte und ob sie auf die Spätphase dieser reich verzierten Renaissancekeramik beschränkt war, wird erst eine neue Beweislage zeigen.

Andreas König

Archiv

Stadtarchäologie Höxter (nicht öffentlich zugänglich)

Weiterführende oder zitierte Literatur

Andreas König, Werraware-Produktion in Höxter an der Weser? In: Corneliu Ioan Bucur (Hrsg.), Keramische Oberflächen und ihre Gestaltung. Beiträge zum 39. Internationalen Hafnereisymposium des Arbeitskreises für Keramikforschung (Sibiu 2007) 17–23.

Andreas König, Renaissancezeitliche Werrawarefunde aus Höxter – ein Überblick. In: Tobias Gärtner/Stefan Hesse/Sonja König (Hrsg.), Von der Weser in die Welt. Festschrift Hans-Georg Stephan. Alteuropäische Forschungen N.F. 7 (Langenweißbach 2015) 197–209.

Andreas König, Ein Töpferofen mit renaissancezeitlicher Werraware in Höxter. Archäologie in Westfalen-Lippe 2014, 2015, 173–177.

Hans-Georg Stephan, Keramik der Renaissance im Oberweserraum und an der unteren Werra. Beiträge der Archäologie zur Erforschung der Sachkultur der frühen Neuzeit. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters, Beiheft 7 (Köln 1992).

Hans-Georg Stephan, Die Werraware der Renaissance. Eine Zwischenbilanz zum Forschungsstand, insbesondere zu Entstehung, Handel und Verbreitung sowie der Rolle der Niederländer. Rotterdam Papers 11, 2000, 328–340.

Bunt glasierte Keramikschüssel, die in der Mittel einen stilisierten Vogel zeigt.

© LWL/Stefan Brentführer