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093 Passglas

Trink, Brüderlein, trink! Ein Glas für ein Volk von Säufern

Zylinderförmiger Trinkbecher aus leicht grünlichem Glas mit mehreren horizontalen Markierungen.

© LWL/Stefan Brentführer

Passglas

Fundort

Spenge, Werburg

Kreis Herford


Fundumstände

Kontext: Wasserburg

Datum: 2008


Objekt

Material: Glas

Höhe: 17 cm

Randdurchmesser: 8 cm

Fassungsvermögen: 0,82 l


Datierung 

um 1600

Epoche: Frühneuzeit

Stilepoche: Barock

Trink, Brüderlein, trink! Ein Glas für ein Volk von Säufern

Vor 400 Jahren gab es in der Werburg in Spenge ein Spiel, das am Tisch begann und in der Regel unter dem Tisch endete. Davon zeugt ein hellgrüner Glasbecher mit vier horizontal umlaufenden Fadenauflagen. Es ist ein Irrtum zu glauben, die Auflagen dienten nur zur Dekoration. Es waren Markierungen, sogenannte Pässe – daher der Name Passglas –, die bei beliebten Trinkspielen zum Einsatz kamen: Der Proband bekam ein mit einem alkoholischen Getränk gefülltes Glas und musste es exakt bis zu einem festgelegten Pass leeren. Traf er den Pass nicht, galt es zuerst auszutrinken, um dann einen weiteren Versuch mit dem frisch gefüllten Glas zu unternehmen. Traf er den Pass, gab er das Glas an einen anderen Gast weiter. Bei mangelnder Konzentration, die sich bei derartigen Vergnügungen schnell einstellen konnte, führte das Spiel konsequenterweise zur Volltrunkenheit.

Trinkspiele waren im 16. und 17. Jahrhundert in Deutschland weit verbreitet. Davon zeugen zahlreiche Trinkgefäße in Form von Stiefeln oder Sturzbecher, die nur im geleerten Zustand umgekehrt auf dem Rand abgestellt werden konnten (→ Nr. 091). Dem gleichen Prinzip folgten aufwendiger gefertigte Gefäße in Form von Frauenfiguren, deren weite Röcke zur Aufnahme des Getränkes vorgesehen waren.

Es waren nicht nur die Trinkspiele, die zu einem übermäßigen Alkoholgenuss führten und den Deutschen den Ruf eines Volkes von Säufern einbrachte. Vielmehr waren die Hintergründe hierfür vielfältig und fußten zum Teil auf Traditionen archaischer Trinkrituale. Zu diesen Ritualen gehörte bei Gesellschaften vor allem das Zutrinken, das ein Gast keinesfalls ablehnen durfte. Oft wurden diese Regeln mit einer selbstzerstörerischen Konsequenz bis zur Bewusstlosigkeit der Zecher verfolgt.

Das unvernünftige Trinkverhalten des Adels, des Klerus und breiter Bevölkerungskreise forderte Kritik und erzieherische Maßnahmen heraus. Gerade zur Zeit der Reformation und des Humanismus verbreiteten sich zahlreiche Schriften, die das Zutrinken und Vollsaufen verteufelten. Zu den bekanntesten gehört der Traktat »Wider den Sauffteuffel. Etliche wichtige ursachen warumb alle Menschen sich fur dem Sauffen hüten sollen« von Matthäus Friderich aus dem Jahr 1552. Gleich zu Beginn beschreibt er: »also hat Deudtschland vor andern Lendern sonderlich je und je den Sauffteuffel gehabt, der uns Deudtschen Tag und Nacht zum Sauffen treibet und uns keine ruge [Ruhe] lest, wir sind denn vol und toll«. Die Wirkung dieser Schriften und die darin angedrohten göttlichen Strafen hatten zwar kaum Einfluss auf das Trinkverhalten der Zeitgenossen. Aber sie zeigten eine neue Geisteshaltung: Die beginnende Abkehr von der kritiklosen Akzeptanz archaischer Trinkgelage hin zu vernunftgesteuertem Verhalten.

Werner Best

Weiterführende oder zitierte Literatur

Werner Best, Ein Passglas aus der Werburg in Spenge und der »Sauffteuffel« in der frühen Neuzeit. Archäologie in Westfalen-Lippe 2013, 2014, 152–155.

Regina Hübner/Manfred Hübner, Der Deutsche Durst. Illustrierte Kultur- und Sozialgeschichte (Leipzig 1994).

Heike Tausendfreund, Hohlglas aus Westfalen-Lippe. Vergleichende Untersuchungen zu archäologischen Funden des Mittelalters und der Neuzeit (Diss. Eberhard Karls Universität Tübingen 2014).