Transkript anzeigen Abspielen Pausieren

018 Riesenbecher

Vom Himmel gefallen – Riesenbecher zwischen Steinzeit und Bronzezeit

Riesenbecher, ein großes, bauchförmiges Keramikgefäß mit Verzierungen in Form von Rillen und Stempeln.

© LWL/Stefan Brentführer

Riesenbecher

Fundort

Raesfeld-Erle

Kreis Borken


Fundumstände

Kontext: Einzelfund

Datum: Herbst 1965


Objekt

Material: Keramik

Höhe: 43,7 cm

Durchmesser: Rand 31,7 cm, Boden 10,4 cm


Datierung 

2300–1700 v. Chr.

Epoche: Endneolithikum/frühe Bronzezeit

Vom Himmel gefallen – Riesenbecher zwischen Steinzeit und Bronzezeit

Ab etwa 2000 v. Chr. sprechen wir in Westfalen von der Bronzezeit, da mit der Bronze ein Metall als Werkstoff zunehmend wichtig wird. Trotzdem besteht das erste Objekt aus dieser Epoche in unserem Band aus Keramik. An ihm lässt sich gut nachvollziehen, dass Schubladendenken in der Archäologie nicht hilfreich ist. Der Übergang von der Steinzeit zur Bronzezeit war keine epochale Zäsur, sondern zumindest in Westfalen ein langsamer Kulturwandel, der nicht scharf zu fassen ist. Erst im Lauf der Zeit werden immer mehr Änderungen sichtbar und sind schließlich in fast allen Lebensbereichen greifbar: Die Handelsnetze und die Bestattungssitten verändern sich, Bronzegegenstände werden immer häufiger, die Gesellschaft wird kriegerischer und ihre soziale Gliederung für uns deutlich sichtbarer. Da jetzt Bronzebarren als Zahlungsmittel dienten, wurde es erstmals möglich Reichtum anzuhäufen, der zudem auch transportabel war. In der Frühbronzezeit war die Lebenswirklichkeit in Westfalen – dies zeigen nicht zuletzt Pfeilspitzen, Dolche (→ Nr. 021) und Sicheln (→ Nr. 019) aus Feuerstein – aber immer noch »steinzeitlich« geprägt.

Für diesen langsamen Wandel in unserer Region stehen die wegen ihrer Ausmaße als Riesenbecher bezeichneten Gefäße, zu denen das ca. 44 cm hohe Exemplar aus Raesfeld-Erle gehört. Es stand aufrecht in der Abbauwand einer Sandgrube. Weitere Gegenstände oder eine zugehörige Bodenverfärbung wurden nicht entdeckt – es war also ein Einzelfund, wie viele dieser Keramikgefäße im nördlichen Westfalen. Deshalb ist hier meist nicht mehr nachzuvollziehen, ob es sich um Bestattungen, kultische Niederlegungen oder einfach nur um eingegrabene Vorratsgefäße gehandelt hat. Teils aus Westfalen, teils aus anderen Regionen sind aber Beispiele für alle drei Funktionen eindeutig belegt.

Das Hauptverbreitungsgebiet dieser Keramikform reicht von den Niederlanden über Norddeutschland bis zur Oder, besonders viele Exemplare gibt es aus Niedersachsen und Westfalen. Man findet sie an steinzeitlichen und an frühbronzezeitlichen Fundstellen: Die bis zu 60 cm hohen Riesenbecher wurden also ganz offensichtlich über die archäologische Epochengrenze hinweg genutzt.

Die Riesenbecher erregen deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil die übrige Keramik, vor allem der Frühbronzezeit, in Bezug auf Größe und Verzierungsweise einen vergleichsweise unscheinbaren Eindruck hinterlässt. Der Becher von Raesfeld-Erle ist also nicht vom Himmel gefallen, sondern nur der auffällige Teil des damaligen Geschirrschranks.

Andrea Stapel, Bernhard Stapel

Museum

Museum im Heimathaus, Raesfeld-Erle

Weiterführende oder zitierte Literatur

Daniel Bérenger, Die Frühbronzezeit in Westfalen. Archäologie in Ostwestfalen 5, 2000, 19–28.

August Heselhaus, Bodenforschung im Kreise Borken. Schriftenreihe des Kreises Borken IV (Borken 1974).

Andrea Stapel, Vom Himmel gefallen. Der Becher von Raesfeld-Erle. In: Daniel Bérenger/Christoph Grünewald (Hrsg.), Westfalen in der Bronzezeit (Münster 2008) 57.