005 Stielspitzen
Tod aus der Ferne – neue Jagdwaffen am Ende der Altsteinzeit
Stielspitzen
Fundort
Horn-Bad Meinberg, Externsteine
Kreis Lippe
Fundumstände
Kontext: Lagerplatz
Datum: 1934/1935
Objekt
Material: Baltischer Feuerstein
Längen: 3,3 cm bzw. 4,6 cm
Breite: 1,3 cm bzw. 1,1 cm
Datierung
um 10.000 v. Chr.
Epoche: Spätpaläolithikum
Kultur: Ahrensburger Kultur
Tod aus der Ferne – neue Jagdwaffen am Ende der Altsteinzeit
Einen Rastplatz mit imposanter Kulisse hatten die Jäger hier an den Externsteinen gefunden, wo sie an der Rückwand eines Felsens ihr Lager mit zwei Feuerstellen aufschlugen. Vermutlich war die Pause wohlverdient und sie hatten mit ihren tödlichen Waffen – Pfeilen mit Spitzen aus Feuerstein – schon reiche Beute gemacht.
Die Pfeilspitzen, Kerne, Klingen und Abschläge aus Feuerstein, die 1934/1935 an den Externsteinen gefunden wurden, gehörten den letzten Rentierjägern im nördlichen Mitteleuropa. Sie lebten in einer Zeit, in der hier letztmals subarktische Verhältnisse herrschten. Nach der vorangegangenen Warmzeit kehrte die eiszeitliche Tierwelt nach Westfalen zurück mit Lemmingen, Schneehühnern – und nicht zuletzt Rentieren. Große Herden zogen durch die mit wenigen Baumgruppen durchsetzte, tundraähnliche Steppenlandschaft. Den Winter verbrachten die Tiere im nordeuropäischen Flachland; im Sommer zogen sie in die südlich anschließende Mittelgebirgszone. Auf ihren Wanderungen kamen sie vermutlich an den Externsteinen vorbei und wurden hier gezielt bejagt.
Die Pfeilschäfte bestanden zum Beispiel aus Kiefernholz, in denen die Spitzen mit Birkenpech fixiert wurden. Da organische Materialien aber über einen so langen Zeitraum im Boden zumeist vollständig zersetzt werden, sind von den ehemals befiederten Holzpfeilen in der Regel nur die steinernen Spitzen übrig geblieben. Aufgrund ihrer Form werden diese Feuersteine von den Externsteinen Stielspitzen genannt. Sie gehören zu den ältesten Hinweisen auf den Einsatz von Pfeil und Bogen zur Jagd. Als Rohmaterial für die Spitzen nutzten die Jäger und Sammler der späten Altsteinzeit milchig-weißlichen baltischen Feuerstein, der sich wegen der scharfen Bruchkanten hervorragend für derartige Fernwaffen eignet. Er konnte in der Region einfach an der Oberfläche aufgesammelt werden. Vermutlich wurde die längere der beiden Pfeilspitzen nie benutzt, denn der Stiel ist nicht vollständig herausgearbeitet worden. Es macht den Eindruck, als sei das Stück nicht fertiggestellt worden.
Diese gestielten Feuersteinpfeilspitzen sind am Ende der letzten Eiszeit und am Beginn der Nacheiszeit im nördlichen und östlichen Europa weit verbreitet. Schlanke, relativ kleine Exemplare wie die von den Externsteinen sind typisch für die Ahrensburger Kultur. Gleichzeitig mit dem Aufkommen dieser neuen Waffe änderten sich auch die Jagdtechniken. Exemplare von anderen Fundstellen zeigen, dass sich die Jäger nicht mehr mit Speeren an das Wild anpirschten, sondern vielmehr bei Treibjagden umfangreiche Beute machten. Die Menschen kamen immer wieder zu den lohnenden Jagdplätzen, an denen die Rentiere seit Generationen im Frühjahr vorbeikamen, und füllten mit den »wandernden Vorratskammern« ihre Nahrungsreserven für die nächsten Monate auf.
Michael M. Rind
Weiterführende oder zitierte Literatur
Michael Baales, Umwelt und Jagdökonomie der Ahrensburger Rentierjäger im Mittelgebirge. Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 38 (Mainz/Bonn 1996) 292–293.
Michael Baales, Die Externsteine, Horn-Bad Meinberg, Kreis Lippe. In: Heinz Günter Horn (Hrsg.), Neandertaler + Co. Eiszeitjägern auf der Spur – Streifzüge durch die Urgeschichte Nordrhein-Westfalens. Führer zu archäologischen Denkmälern im Rheinland 4 (Mainz 2006) 159–161.
Klaus Bokelmann, Eine Stielspitze mit Schäftungspech der Ahrensburger Kultur aus Stellmoor. In: Erwin Cziesla u. a. (Hrsg.), Den Bogen spannen ... Festschrift Bernhard Gramsch. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 20 (Weißbach 1999) 77–79.
Wolfgang Taute, Die Stielspitzen-Gruppen im nördlichen Mitteleuropa: ein Beitrag zur Kenntnis der späteren Altsteinzeit. Fundamenta A/5 (Köln/Graz 1968).