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034 Grabinventar

Beautiful strangers! Powerfrauen an der Porta Westfalica

Verschiedene Schmuckgegenständen aus grünlicher Bronze, darunter Armringe.

© LWL/Stefan Brentführer

Grabinventar

2 Armringe
2 Fußringe
6 Schläfenringe
1 Schälchenkopfnadel

Fundort

Petershagen-Ilse

Kreis Minden-Lübbecke


Fundumstände

Kontext: Körpergräberfeld

Datum: 1999


Objekt

Material: Bronze

Außendurchmesser: Schleifenringe 3,7–4,3 cm, Armringe 10,2 x 8,7 cm bzw. 10,0 x 8,8 cm, Fußringe beide 10,7 x 10,8 cm

Schälchenkopfnadel: Durchmesser 0,9 cm, Länge 11,5 cm


Datierung 

um 550 v. Chr.

Epoche: Mittlere Eisenzeit


Import

Herstellungsregion: Südwestdeutschland/Elsass/Schweiz

Herstellungszeit: um 550 v. Chr.

Beautiful strangers! Powerfrauen an der Porta Westfalica

»Wie die aussehen! Und was für seltsame Sitten sie haben!« Haben sich die Menschen im heutigen Petershagen-Ilse vor über 2500 Jahren gewundert, als sich dort Frauen ansiedelten, die offensichtlich von weit her nach Ostwestfalen gekommen waren? Oder kannten sie solche Leute schon? Die Fremdartigkeit der Frauen war schon alleine äußerlich sichtbar, da sie Bronzeschmuck trugen, den es in dieser Region nicht gab und dessen nächste Vergleiche wir aus Südwestdeutschland, dem Elsass und der Schweiz kennen. Sie erhielten sich ihre Fremdheit sogar im Tod, wie die 19 in Ilse entdeckten Frauengräber beweisen: Obwohl es hier zu dieser Zeit üblich war, die Toten zu verbrennen, wurden diese Frauen zusammen mit ihrem auffälligen Schmuck in Körpergräbern bestattet.

Naturwissenschaftliche Analysen verraten uns einiges über diese »Damen von Ilse«. Sie belegen die fremdländische Herkunft einiger dieser Frauen und zeigen, dass sie im Raum Südthüringen/Nordbayern aufgewachsen sind. Andere sind aber vor Ort in Ilse geboren worden. Die eingewanderten Frauen hatten also ihre Traditionen an ihre Töchter weitergegeben, womit sich in Ilse wahrscheinlich mindestens zwei Frauengenerationen im Aussehen und in ihren Gebräuchen deutlich von der einheimischen Bevölkerung abgrenzten. Doch die Gräber erzählen noch mehr aus dem Leben der Frauen: Einige der Beigaben belegen, dass die Frauen ihren traditionellen, aus dem Süden mitgebrachten Schmuck mit Schmuckelementen aus anderen Teilen Deutschlands und Europas ergänzten. Sie hatten also offenbar Zugang zu begehrten Sachgütern ihrer Zeit.

Aber wer waren diese Frauen und was taten sie hier? Der Bereich von Ilse gehörte damals zum Einzugsgebiet einer um die Mittelweser gelegenen Fernhandelszone nahe der Porta Westfalica, durch die eine wichtige Handelsroute zwischen Nord- und Südeuropa führte. Die aus dem Süden stammenden »Damen von Ilse« waren vermutlich Fernhändlerinnen, die weit entfernt von ihrer Heimat für mindestens zwei Generationen eine Zwischenstation oder einen Umschlagplatz für Handelsgüter »bemannten«.

Der außergewöhnliche Fundplatz in Ilse wirft ein eindrucksvolles Schlaglicht auf frühgeschichtliche Migrationsbewegungen, Handels- und Kulturkontakte zwischen Süd und Nord sowie die mögliche Rolle von Frauen darin. Und für die Zukunft bleiben noch viele spannende Fragen: Hatten diese Frauen auch Männer? Waren sie auch Fernhändler aus fremden Landen oder stammten sie aus der Region? Wo und wie hatte man sie begraben? Und wo lag der Siedlungsplatz dieser ungewöhnlichen Gemeinschaft? Dies sind nur einige der offenen Geheimnisse um die »Damen von Ilse«!

Julia Hallenkamp-Lumpe

Weiterführende oder zitierte Literatur

Daniel Bérenger, Ilse – Ein oberrheinisches »Ghetto« an der Mittelweser? In: Heinz Günter u.a. (Hrsg.), Fundort Nordrhein-Westfalen – Millionen Jahre Geschichte. Ausstellungskatalog Köln, Münster. Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 5 (Mainz 2000) 247–249.

Daniel Bérenger, Die Damen von Ilse, die Nienburger Kultur und die fremde Frau von Steimbke. Archäologie in Ostwestfalen 6, 2001, 17–24.

Daniel Bérenger, Ilse – Fremde Frauen an der Mittelweser. In: Jürgen Gaffrey/Eva Cichy/Manuel Zeiler, Westfalen in der Eisenzeit (Münster 2015) 166–167.

Daniel Bérenger u. a., Zur Herkunft einzelner Individuen von westfälischen Fundorten anhand von (Sauerstoff-)Strontium-Isotopenanalysen. In: Thomas Otten u.a. (Hrsg.), Fundgeschichten – Archäologie in Nordrhein-Westfalen. Ausstellungskatalog Köln, Herne. Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 9 (Mainz 2010) 334–337.

Julia Hallenkamp-Lumpe/Sven Spiong, Strangers in a strange land – Die fremden Damen von Petershagen-Ilse. In: Matthias Wemhoff/Michael M. Rind (Hrsg.), Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland. Ausstellungskatalog Berlin (Darmstadt 2018) 92–96.