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065 Dreilagenkamm

Nicht nur eitle Haarspalterei, sondern eine Frage der Ehre!

Einreihiger Dreilagenkamm

Fundort

Warburg-Daseburg, Ziegelei Sievers

Kreis Höxter


Fundumstände

Kontext: Grab

Datum: 1928


Objekt

Material: Knochen (Bein), Buntmetall

Länge: 13,1 cm

Höhe: 2,4–5,3 cm


Datierung 

um 565–610/620

Epoche: Frühmittelalter

Herrschergeschlecht: Merowinger

Nicht nur eitle Haarspalterei, sondern eine Frage der Ehre!

Ungeschoren kam Childerich III., der letzte Merowingerkönig, nicht davon. Um den Jahreswechsel 751/752 n. Chr. wurde er von dem karolingischen Hausmeier Pippin dem Jüngeren, dem Vater Karls des Großen, entmachtet und in das Kloster Sithiu an der französischen Atlantikküste verbannt. Eine Handlung Pippins ist dabei bis heute im Gedächtnis geblieben: Er ließ Childerich öffentlich scheren. Seine Macht und seinen Anspruch auf den Königsthron hatte der Herrscher, auch durch diese entehrende Geste, verloren. Die Ablösung der Merowinger durch die Karolinger wurde damit auch symbolisch vollzogen.

Üppige lange Haare waren damals ein königliches Attribut und ein Standes- und Rechtssymbol für freie Männer. Daher trugen auch Krieger und vor allem kriegerische Aristokraten – in spätantiker Tradition – schulterlange Haare. Echte Merowinger sahen wild und barbarisch, aber trotzdem gepflegt aus. Die Haare wurden als Attribut der Schönheit, Lebenskraft, Gesundheit, Macht und Stärke verstanden. Die vollständige Einbuße der Haarpracht kam dagegen gewissermaßen dem Verlust der Männlichkeit bzw. fast einer Kastration gleich. Nur unfreie Menschen, Abhängige und Bauern trugen kurze oder geschorene Haare – aber auch Priester. Die Tonsur der Mönche, das religiös bedingte Rasieren eines Teils des Kopfhaares, war zum Beispiel bereits seit 633 vorgeschrieben.

Zur regelmäßigen Pflege der Haartracht waren Kämme erforderlich. Schon auf einem Grabstein des 7. Jahrhunderts aus Niederdollendorf im Rheinland ist ein Krieger dargestellt, der sich frisiert. Bei archäologischen Ausgrabungen frühmittelalterlicher Gräberfelder werden immer wieder Kämme aus dieser Zeit gefunden, die den Verstorbenen, neben vielen anderen Dingen, für das Jenseits mitgegeben worden waren. Unser Exemplar, das exakt jener Darstellung auf dem Grabstein entspricht, stammt aus einer Kriegerbestattung in Warburg, in der außerdem verschiedene Waffen lagen. Kämme waren aus vielen Einzelteilen hergestellt, aufwendig verziert und daher besonders kostbar. Als Material wurde oft Knochen oder Geweih verwendet, das die lange Lagerung im Boden nicht immer überstanden hat. Die handgesägten dünnen Zinken konnten außerdem leicht abbrechen, sodass kostbare Futterale zur Aufbewahrung angefertigt wurden, die ebenfalls bei Ausgrabungen entdeckt werden können.

In Westfalen liegen derartige Kämme mit verschiedenen Größen, Formen und Verzierungen sowohl in Männer- als auch in Frauengräbern der Oberschicht des 6. bis 8. Jahrhunderts. Ganz praktisch garantierten sie zu Lebzeiten gepflegte Haare und beugten einem Befall mit Läusen vor. Vor allem unterstrichen sie den gesellschaftlichen Rang und das Ansehen ihrer langhaarigen Besitzer!

Bernd Thier

Museum

Weiterführende oder zitierte Literatur

Maximilian Diesenberger, Hair, Sacrality and Symbolic Capital in the Frankish Kingdoms. In: Helmut Reimitz u. a. (Hrsg.), The Construction of Communities in the Early Middle Ages (Leiden 2003) 173–212.

Lutz Engelskirchen/Kristina Nowak/Sonja Zimmer, Verlockungen. Die Kultur der Frisur (Hagen 2007).

Annika Kaffille, Die Kämme der völkerwanderungszeitlichen und merowingerzeitlichen Körpergräber Westfalen-Lippes (Bachelorarbeit Westfälische Wilhelms-Universität Münster 2013).

Eva Stauch, Wenigumstadt. Ein Bestattungsplatz der Völkerwanderungszeit und des frühen Mittelalters im nördlichen Odenwaldvorland. Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 111 (Bonn 2004).

Gabriele Wand, Beobachtungen zu Bestattungssitten auf frühgeschichtlichen Gräberfeldern Westfalens. Studien zur Sachsenforschung 3, 1982, 249–314.

Kamm mit Kreisaugenverzierung, Fischgrätenmuster, teilweise abgebrochenen Zinken und dunkel verfärbten Nieten.

© LWL/Stefan Brentführer