072 Wandputzfragment
Karl der Große – reisender König, Drachenbezwinger und Kultursponsor
Wandputzfragment mit Malerei
Fundort
Paderborn
Kreis Paderborn
Fundumstände
Kontext: Kaiserpfalz
Datum: 1968
Objekt
Material: rote Malerei (Eisenoxid) auf weißem Kalkputz
Breite: 34 cm
Höhe: 15 cm
Datierung
776–800
Epoche: Frühmittelalter
Herrschergeschlecht: Karolinger
Karl der Große – reisender König, Drachenbezwinger und Kultursponsor
Königliche Lebensart stellen wir uns wohl etwas komfortabler vor, als sie im Mittelalter tatsächlich war. Die Herrscher hatten keine feste Residenz in einer prächtigen Hauptstadt, sondern verbrachten die meiste Zeit auf der Straße: Sie waren reisende Könige, die durch ihr Land zogen, um »vor Ort« zu sein – begleitet von oft mehr als hundert Personen zu Pferd oder zu Fuß. Zu diesem Tross gehörten die Familienmitglieder, Gelehrte, Berater, Schreiber, Krieger und Menschen, die am und mit dem königlichen Hof ihren Lebensunterhalt verdienten. Ziele der königlichen Reisegesellschaft waren jeweils die Pfalzen. Diese zeitweiligen Residenzorte waren über das gesamte Reich verteilt und sorgten für die Verpflegung und Unterbringung des Hofes. Da sie aber auch eine militärische Funktion hatten, waren sie häufig durch eine Mauer oder einen Holz-Erde-Wall geschützt.
Seit der karolingischen Zeit ließen die reisenden Könige Pfalzen anlegen. Es war aber eine echte archäologische Sensation, als Wilhelm Winkelmann 1964 in Paderborn eine Anlage Karls des Großen, also eine der ältesten Pfalzen überhaupt, entdeckte. Selbst das damalige Staatsoberhaupt, Bundespräsident Heinrich Lübke, kam an den Ort, an dem der Frankenkönig im Jahr 799 mit Pappst Leo III. seine Kaiserkrönung ausgehandelt hat.
Die Pfalzgebäude waren in vielen Gegenden die ersten Steinbauten überhaupt. Aus den ersten Jahren der Paderborner Anlage – zwischen 776 und 799 – stammen neben der Pfalzkapelle, weiteren Bauten und dem Friedhof auch zahlreiche Fundstücke. Über 1000 Wandputzfragmente belegen, dass die Gebäude verputzt und bemalt waren. Es finden sich vor allem in roter, aber auch in schwarzer, weißer, gelber und blauer Farbe unterschiedliche Motive wie Ranken, Pflanzen, ein Stern, ein Kreuz, Gewänder, figürliche Malerei, ein Schachbrettmuster und Mäander.
Einige Stücke weisen auch Inschriften auf, von denen aber nur in einem Fall eine Buchstabenfolge zu einem Wort rekonstruiert werden konnte – zu »Draco«, also Drachen. Damit ist wohl Karl der Große in Verbindung zu bringen, in allegorischer Bedeutung als Sieger über den Satan, über den Drachen, über das Heidentum – dazu passt die Interpretation der drei Buchstaben MEM in der zweiten Zeile als Memoria, Erinnerung. Denkwürdig waren die Leistungen des Kaisers unbestritten, nicht nur wegen der Verbreitung des Christentums, sondern wegen des kulturellen Aufschwungs, der von seinem Hof ausging, der Wiederbelebung des antiken Bildungswesens und anderen Reformen. Während bisher – wie noch auf dem Draco-Fragment – ausschließlich in lateinischen Großbuchstaben geschrieben wurde, trug seine Hofschule zur Verbreitung der Karolingischen Minuskel bei – der Grundlage für unsere heutige Schrift in Klein- und Großbuchstaben.
Martin Kroker
Museum
LWL-Museum in der Kaiserpfalz, Paderborn
Weiterführende oder zitierte Literatur
Manfred Balzer, Paderborn. In: Manfred Balzer/Angelika Lampen/Peter Johanek (Hrsg.), Westfalen. Repertorium der deutschen Königspfalzen 6.3 (Göttingen 2019) im Druck.
Sveva Gai/Birgit Mecke: Est locus insignis. Die Pfalz Karls des Großen in Paderborn und ihre bauliche Entwicklung bis zum Jahr 1002. Denkmalpflege und Forschung in Westfalen 40.2 (Mainz 2004).
Martin Kroker, Das Draco-Fragment. In: C. Stiegemann/M. Kroker/W. Walter (Hrsg.), Credo – Christianisierung Europas im Mittelalter. Ausstellungskatalog Paderborn (Petersberg 2013) 432–433.
Matthias Preißler, Wandputzfragment mit sog. Draco-Inschrift. In: C. Stiegemann/M. Wemhoff (Hrsg.), 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Ausstellungskatalog Paderborn. (Mainz 1999) 134–135.
Matthias Preißler, Die karolingischen Malereifragmente aus Paderborn. Denkmalpflege und Forschung in Westfalen 40.1 (Mainz 2003).
Wilhelm Winkelmann, Capitalis quadrata. Funde karolingischer Monumentalschrift aus der Grabung Paderborn. Westfalen 48, 1970, 171–176.