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082 Nuppenbecher

Erhebt das Glas, Durst ist schlimmer als Heimweh...

Nach unten hin leicht konisch zulaufender Becher aus grün-weißlichem Glas mit Nuppen unterhalb des Randes.

© LWL/Stefan Brentführer

Nuppenbecher, Typ Schaffhausen

Fundort

Lippstadt, Burg Lipperode

Kreis Soest


Fundumstände

Kontext: Burg

Datum: 29. Juli 1986


Objekt

Material: Glas, türkisgrün

Höhe: 9,4 cm (rekonstruiert)

Fußdurchmesser: 5,4 cm

Randdurchmesser: 7,4 cm

Wandungsstärke Lippe: 1,2 cm


Datierung 

13./14. Jahrhundert

Epoche: Spätmittelalter

Stilepoche: Gotik


Import

Herstellungsregion: nördlich der Alpen, süddeutscher/schweizerischer Raum

Herstellungszeit: 13./14. Jahrhundert

Erhebt das Glas, Durst ist schlimmer als Heimweh...

Ohne Flüssigkeit kann der Mensch nicht lange auskommen. Wenn aber unsere Vorfahren vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein der Durst plagte, mussten sie häufig mit brackigem, vielfach mit Bakterien und Viren verseuchtem Wasser vorliebnehmen, da die Brunnen oft dicht bei den Kloaken und auch auf demselben Niveau wie diese lagen. Auch heute ist der Zugang zu sauberem Trinkwasser in vielen Teilen der Welt nicht gewährleistet, obwohl er seit dem 28. Juli 2010 zu den verbrieften Menschenrechten gehört.

Alkoholische Getränke waren daher im Mittelalter beliebter und auch sicherer als Wasser, denn Brau-, Gär- und Destillierprozesse wirkten den krankmachenden Bazillen entgegen. Wein und Bier hatten jedoch einen wesentlich geringeren Alkoholgehalt und waren sicherlich weniger schmackhaft als heute. So wie sich die Getränke im Lauf der Zeit änderten, änderten sich auch die Tischsitten und die Trinkgefäße. Im Alltag wurde aus Exemplaren aus Ton, Holz, Glas und Metall getrunken. Reich verzierte Gefäße blieben der feineren Gesellschaft vorbehalten. Bei einem Festmahl wurden die Tische allerdings nicht, wie wir es heute erwarten würden, mit einem Trinkglas für jeden Gast eingedeckt: Die Gäste brachten – wenn vorhanden – vielmehr ihre eigenen Becher mit. Andernfalls wurden die Gläser weitergereicht oder die Bediensteten füllten sie direkt an der Tafel, wo sie sofort geleert und wieder abgetragen wurden. Zum Glück passten die damaligen Tischmanieren zu diesem Prozedere: Bereits die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen »Tischzuchten« schrieben nämlich vor, dass man nicht mit vollem Mund trinken dürfe, es unschicklich sei, zu schlürfen oder ins Trinkgefäß zu husten, und dass vor dem Trinken der Mund abgewischt werden müsse. Auch aus dieser Zeit stammt die noch heute gültige Regel, nach der es unhöflich ist, nach dem Anstoßen das Glas abzustellen, ohne wenigstens daran genippt zu haben.

Ab dem 18. Jahrhundert bekam dann jeder Gast einen eigenen Teller, Besteck und ein Trinkgefäß. Diese Gefäße konnten recht unterschiedlich aussehen, denn zusammengehörende Service entstanden erst im 19. Jahrhundert, als für unterschiedliche Getränke, wie die einzelnen Weinsorten, Sekt, Bier, Likör oder Wasser, verschiedene Glasformen in Mode kamen.

Der Wein wurde im Mittelalter und der Neuzeit nicht nur aus Kelchgläsern getrunken, sondern auch aus Bechern – gebechert wurde auch aus dem türkisfarbenen Nuppenbecher von der Burg Lipperode, der in Westfalen singulär ist. Seine ausbiegende Lippe lässt bereits die spätere Kelchform erahnen. Aus ihm entwickelte sich über verschiedene Zwischenstationen der Weinrömer mit farbloser Schale und grünem Schaft, aus dem auch heute noch gerne getrunken wird.

Heike Tausendfreund

Archiv

Zentrales Fundarchiv der LWL-Archäologie für Westfalen, Münster (nicht öffentlich zugänglich)

Weiterführende oder zitierte Literatur

Daniel Furrer, Zechen und Bechern. Eine Kulturgeschichte des Trinkens und Betrinkens. Geschichte erzählt 4 (Darmstadt 2006).

Thomas Hellmuth/Ewald Hiebl, Trinkkultur und Identität. Bemerkungen zu einer neuen Kulturgeschichte des Trinkens. In: Lothar Kolmer/Christian Rohr (Hrsg.), Mahl und Repräsentation. Der Kult ums Essen. Internationales Symposion Salzburg, 29. April bis 1. Mai 1999 2(Salzburg 2002) 213–225.

Christian Jentsch, Licht und Rausch. Weingläser aus vier Jahrhunderten (Wien 2004).

Andreas Morel, Der gedeckte Tisch. Zur Geschichte der Tafelkultur (Zürich 2001).

Ernst Schubert, Essen und Trinken im Mittelalter (Darmstadt 2006).