015 Geweihhammer
Aus der Art geschlagen: ein verzierter Hammer aus Hirschgeweih
Geweihhammer
Fundort
Lippe bei Lünen-Lippholthausen
Kreis Unna
Fundumstände
Kontext: Einzelfund
Datum: 1940
Objekt
Material: Hirschgeweih
Länge: max. 11,5 cm
Breite: 8,0–9,5 cm
Durchmesser: 3–5 cm
Gewicht: 232 g
Datierung
3070–3020 v. Chr. (14C-Datierung)
Epoche: Spätneolithikum
Kultur: Trichterbecherkultur/Wartbergkultur
Import
Herstellungsregion: vermutlich Mitteldeutschland/Südosteuropa oder Frankreich/Schweiz
Herstellungszeit: Spätneolithikum
Aus der Art geschlagen: ein verzierter Hammer aus Hirschgeweih
Der Rothirsch ist der »König des Waldes«, sein imposantes Geweih ist unter Jägern als Trophäe hochgeschätzt. Er begegnet uns röhrend auf Gemälden in deutschen Wohnzimmern oder als Plastik (→ Nr. 076); das Hirschmotiv als dekoratives Element ist auch heute in unserem Umfeld etabliert. Dass dieses Tier aber bereits um 3000 v. Chr. eine besondere Bedeutung für die Menschen hatte, zeigt ein Hammer aus Geweih aus der Lippe bei Lünen.
Das Stück wurde aus der unteren Geweihstange eines kapitalen, etwa fünfjährigen Rothirsches gefertigt. Beide Sprossen und das Endstück wurden nahe an der Stange abgesägt und die Oberfläche vollständig glatt überschliffen. Mittig ist das Stück durchlocht, um einen Stiel aufnehmen zu können. Der poröse innere Teil des Geweihs wurde an zwei Enden entfernt, um härtere Sprossenspitzen zur Verstärkung einzusetzen. So könnte man denken, dass diese als Schlagflächen eines Hammers gedient haben. Doch fanden sich bei näherer Untersuchung keinerlei Gebrauchsspuren! Noch dazu ist das Gerät verziert: Zwei in die Oberfläche gravierte dreizeilige Bänder laufen leicht versetzt von jeweils einer Seite des Schaftlochs über den Körper zur anderen Seite.
Warum fertigte man derart aufwendig ein »einfaches« Arbeitsgerät wie einen Hammer − und benutzte ihn nicht? Die sonst für die Archäologen oft hilfreichen Fundumstände verraten zunächst nicht viel: Das Stück ist ein Einzelfund aus der Lippe. Er kann im Wasser verloren gegangen sein, doch ein so wertvolles Stück verliert man nicht »einfach so«. Daher ist eine absichtliche Deponierung wahrscheinlich, die vermutlich mit einem rituellen Hintergrund zu verbinden ist. Vergleichsfunde muss man lange suchen; erst in Mitteldeutschland, Tschechien, Frankreich und in der Schweiz finden sich ähnliche Geräte. Ob unser Stück von dort importiert wurde, ist unklar. Sie stammen aus Siedlungen, einige aber auch aus Gräbern und Gewässern. Gebrauchsspuren sind nur an wenigen, noch dazu unverzierten Hämmern aus Siedlungen zu finden. Die Gewässer- und Grabfunde sind hingegen, soweit untersucht, nie benutzt worden. Dies deutet darauf hin, dass wir es mit außergewöhnlichen Objekten zu tun haben, die nicht als profanes Arbeitsgerät dienten, sondern eine besondere Stellung bei rituellen Handlungen wie Deponierungen und Bestattungen einnahmen.
Dass ein Rothirsch das Material für den Hammer aus Lünen lieferte, scheint kein Zufall zu sein, denn es finden sich viele weitere Geweihgeräte in Gewässern nicht nur Westfalens. Außerdem sind zum Beispiel durchlochte Hirscheckzähne im zeitgleich genutzten Großsteingrab von Erwitte-Schmerlecke (→ Nr. 013) belegt. Auch hierin ist eine Rolle des Hirsches im Ritual erkennbar, deren tiefere Bedeutung uns allerdings verborgen bleibt.
Kerstin Schierhold
Museum
Gustav-Lübcke-Museum, Hamm
Weiterführende oder zitierte Literatur
Georg Eggenstein/Jan Graefe, Ein Geweihhammer aus der Lippe bei Lünen – profan oder kultisch? Zur Typologie und Funktion spätneolithischer Geräte aus Hirschgeweih. Archäologisches Korrespondenzblatt 39, 2009, 39−58.
Albrecht Jockenhövel/Benedikt Knoche, Zur Rolle des Hirsches im neolithischen Europa. In: Jörg Eckert/Ursula Eisenhauer/Andreas Zimmermann (Hrsg.), Archäologische Perspektiven. Analysen und Interpretationen im Wandel. Festschrift Jens Lüning. Internationale Archäologie, Studia Honoraria 20 (Rahden/Westf. 2003) 195−223.