052 Bleibarren
Westfalen tritt ins Licht der Geschichte
Bleibarren
Fundort
Haltern am See
Kreis Recklinghausen
Fundumstände
Kontext: Römisches Hauptlager, Grube
Datum: 1964
Objekt
Material: Blei
Länge: 62,5 cm
Breite: 10,0 cm
Höhe: 11,5 cm
Gewicht: 64 kg
Datierung
um Chr. Geb.
Epoche: Frühe römische Kaiserzeit
Kultur: Römisch
Westfalen tritt ins Licht der Geschichte
Sehr unscheinbar kommt dieses weißlich silbergraue Objekt daher und doch ist es in mehrfacher Hinsicht ein Meilenstein in der Geschichte Westfalens. Bemerkenswert ist zum Beispiel das Material: Es handelt sich um Blei, sogar um 64 kg dieses Schwermetalls, das hier vor der Invasion der Römer nur eine untergeordnete Rolle spielte.
Als die Truppen des Kaisers Augustus ab 12 v. Chr. begannen, in das Gebiet rechts des Rheins vorzustoßen, standen zwar militärische Eroberungen im Vordergrund, aber die Römer verfolgten auch andere strategische Ziele. Die Vielzahl der Bleifunde in den Militärlagern an der Lippe, insbesondere aber im Bergischen Land und im Sauerland, legt nahe, dass auch die Bleilagerstätten im heutigen Nordrhein-Westfalen für die Römer von größtem Interesse waren: Sie verwendeten dieses – wie wir heute wissen – giftige Material als Massenwerkstoff für Schiffsanker, Gewichte, Waffen und Dachbedeckungen, vor allem aber für Wasserleitungen, die die Grundlage für die hochentwickelte Badekultur und Trinkwasserversorgung der Römer bildeten. Inschriften auf Bleibarren aus Schiffswracks augusteischer Zeit im Mittelmeer belegen, dass plum[bum] Germ[anicum], also »Germanisches Blei«, in großen Mengen ins Imperium Romanum importiert wurde.
Eine Inschrift ist auch der zweite bemerkenswerte Aspekt bei unserem Fund aus dem Römerlager Haltern. Dieser Barren, der wahrscheinlich aus Blei aus dem Bergischen Land gegossen wurde, trägt sogar zwei Schriftzüge, die von unterschiedlicher Hand eingemeißelt wurden. CCIII nennt das Gewicht des Barrens: 203 römische Pfund. Eigentlich müsste er, wenn man ca. 325 Gramm für die libra, das römische Pfund, zugrunde legt, knapp 66 Kilogramm wiegen. Tatsächlich bringt der Barren 2 Kilogramm weniger auf die Waage. Ein Wiegefehler durch ungenaue Gewichte? Oder handelt es sich um einen Betrugsversuch?
Noch spannender ist der zweite Schriftzug auf dem Halterner Barren: L[egio] XIX. Er belegt die 19. Legion als Besitzer des Barrens – eine der drei legendären Legionen, die in der Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. untergegangen sind. Da der Bleibarren 1964 in einer Grube im östlichen Teil der via principalis, einer der Lagerhauptstraßen, im sogenannten Hauptlager von Haltern gefunden wurde, kann die Anwesenheit eines Teils der 19. Legion dort als gesichert gelten.
Der Bleibarren ist also in mehrfacher Hinsicht »historisch«. Nicht zuletzt, weil er eines der frühesten Schriftzeugnisse aus Westfalen darstellt. Er markiert damit den Übergang von der schriftlosen Vorgeschichte zur Frühgeschichte, in der zur bloßen Aussagekraft der Bodenfunde textliche Überlieferungen als Quelle hinzukommen.
Josef Mühlenbrock
Museum
LWL-Römermuseum, Haltern am See
Weiterführende oder zitierte Literatur
Rudolf Aßkamp/Bernhard Rudnick, Römische Bleifunde aus Haltern. In: Walter Melzer/Torsten Capelle (Hrsg.), Bleibergbau und Bleiverarbeitung während der römischen Kaiserzeit im rechtsrheinischen Barbaricum. Soester Beiträge zur Archäologie 8 (Soest 2007) 33–40.
Michael Bode, Archäometallurgische Untersuchungen zur Blei-, Silbergewinnung im Germanien der frühen Römischen Kaiserzeit (Diss. Westfälische Wilhelms-Universität Münster 2008) 134–135 <https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:6-22579580819>.
Brigitte Galsterer, Die Graffiti auf der römischen Gefäßkeramik aus Haltern, Bodenaltertümer Westfalens 20 (Münster 1983) 30 mit weiterer Literatur.
LWL-Römermuseum in Haltern am See (Hrsg.), 2000 Jahre Varusschlacht. Imperium. Ausstellungskatalog Haltern am See (Stuttgart 2009) 364f. Kat. Nr. 7,21
Johann-Sebastian Kühlborn, Kat. Nr. 424. In: Antikenmuseum Berlin (Hrsg.), Kaiser Augustus und die verlorene Republik. Ausstellungskatalog Berlin (Mainz 1988) 590.
Siegmar von Schnurbein, Ein Bleibarren der 19. Legion aus dem Hauptlager von Haltern. Germania 49, 1971, 132–136.