007 Schulterblatt
Nur keine Eile! Letzte Jäger und Sammler im Münsterland
Auerochsenschulterblatt mit Ausschnitten
Fundort
Greven-Bockholt
Kreis Steinfurt
Fundumstände
Kontext: Lesefund aus Sandgrube
Datum: 2013
Objekt
Material: Knochen
Länge: 47,5 cm
Breite: ca. 24 cm
Datierung
4345 ± 9 v. Chr. (14C-Datierung)
Epoche: Endmesolithikum/Frühneolithikum
Kultur: Swifterbant-Kultur
Nur keine Eile! Letzte Jäger und Sammler im Münsterland
Wir befinden uns in der Zeit um 4300 v. Chr. Ganz Westfalen ist von sesshaften Bauern besiedelt. Ganz Westfalen? Nein! Am Ufer der Ems beim heutigen Greven sitzt ein Nachfahre steinzeitlicher Jäger und schnitzt aus einem Auerochsenschulterblatt mehrere Schmuckscheiben ...
Das bearbeitete Knochenstück ist eigentlich nur Abfall: Deutlich erkennbar wurden zwei kreisrunde Scheiben mit einem Durchmesser von 7,2 cm und 8,8 cm aus dem Schulterblatt herausgeschnitten, am beschädigten breiten Ende wurde eine dritte mit unbekanntem Durchmesser gewonnen. Diese Scheiben wurden direkt als Schmuckstücke verwendet oder zu Knochenringen weiterverarbeitet. Somit zeugt der Fund – den einer unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter 2013 in einer Sandgrube südlich von Greven entdeckte – von einem komplizierten Herstellungsprozess. Bislang waren vergleichbare Objekte nur aus Schleswig-Holstein und Dänemark sowie den nördlichen Niederlanden bekannt, wo die Menschen noch als Jäger und Sammler lebten; die Funde stehen also in einer mittelsteinzeitlichen Tradition.
In Westfalen hatte die neolithische Revolution und der damit verbundene Übergang vom Leben als mobile Jäger und Sammler zu dem sesshafter Bauern, die vorwiegend von Ackerbau und Viehzucht leben, aber schon etwa 5300 v. Chr. begonnen! Warum finden wir mehr als 1000 Jahre später dieses »mittelsteinzeitliche« Schulterblatt mit Einschnitten in Greven?
Dieses Stück ist nur der Abfall der Schmuckherstellung. Daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass es aus dem Norden importiert und von den jungsteinzeitlichen Bauern des hiesigen Raumes eingehandelt worden ist. Vielmehr siedelten zumindest zeitweise Menschen wahrscheinlich der niederländischen Swifterbant-Kultur an der Ems und fertigten derartige Schmuckringe. Mehr als ein Jahrtausend nach dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht in Westfalen lebten hier also mobile Jäger und Sammler und sesshafte Bauern mit unterschiedlichen Wirtschaftsweisen in Parallelgesellschaften nah beieinander. Das nördliche Münsterland zählte damals augenscheinlich zu den Räumen, in denen es zum Kontakt und wahrscheinlich auch zum Informationsaustausch zwischen diesen Gemeinschaften gekommen ist.
Die Menschen aus dem Norden schauten sich die neue Lebensweise in den Ackerbau betreibenden Gesellschaften lange an, bevor sie ab 4000 v. Chr. die neuen Agrartechniken übernahmen. Aus ethnologischen Untersuchungen wissen wir, dass das bäuerliche Leben zwar mehr Planungssicherheit bietet, der Arbeitstag von Bauern aber auch deutlich länger ist als der von Jägern und Sammlern. Ein guter Grund, nur nichts zu überstürzen!
Bernhard Stapel
Privatbesitz
Gregor Laufer (Finder, nicht öffentlich zugänglich)
Weiterführende oder zitierte Literatur
Lutz Klassen, Jade und Kupfer. Untersuchungen zum Neolithisierungsprozess im westlichen Ostseeraum unter besonderer Berücksichtigung der Kulturentwicklung Europas 5500–3500 BC (Moesgård 2004).
Jörg Orschiedt/Bernhard Stapel/Martin Heinen, Parallelgesellschaften. Bauern, Hirten und letzte Wildbeuter im Neolithikum Nordrhein-Westfalens. In: Thomas Otten u. a. (Hrsg.), Revolution Jungsteinzeit. Ausstellungskatalog Bonn, Detmold, Herne. Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 11,1 (Darmstadt 2015) 242–249.
Bernhard Stapel/Manfred Schlösser, Zwei datierte mesolithische Knochenartefakte aus Greven, Kreis Steinfurt. Archäologie in Westfalen-Lippe 2013, 2014, 46–49.