092 Goldschmuck
Des einen Freud, des anderen Leid – Kleinode in der Kloake
Fingerring und Gewandbesatz
Fundort
Höxter, Heisterman-von-Ziehlbergscher Hof, Westerbachstraße 35/37
Kreis Höxter
Fundumstände
Kontext: Abortschacht Adelshof
Datum: September 2005
Objekt
Fingerring
Material: Gold, Smaragd, Email
Höhe: 2,7 cm
Gewicht: 6,5 g
Gewandbesatz
Material: Gold, Smaragd, Email
Länge: 4,9 cm
Breite: 3,0 cm
Gewicht: 5,2 g
Datierung
um 1600
Epoche: Frühneuzeit
Stilepoche: Spätrenaissance
Des einen Freud, des anderen Leid – Kleinode in der Kloake
Dass jemand breit grinsend aus einem 8,5 m tiefen, stinkenden Abortschacht steigt, hat definitiv Seltenheitswert! Aber im September 2005 gab es auf dem Heisterman-von-Ziehlbergschen Hof in Höxter allen Grund dazu: Der Mitarbeiter der Stadtarchäologie Höxter präsentierte stolz einen goldenen Smaragdring. Die Freude über diesen seltenen wie kostbaren Fund war riesengroß. Kurz darauf kam der Kollege erneut aus der Tiefe hervor – nunmehr mit einem goldenen Gewandbesatz. Spätestens jetzt war den wildesten Spekulationen Tür und Tor geöffnet: Sie reichten vom versenkten Diebesgut über ein Missgeschick bei einem wilden Techtelmechtel bis hin zu den Folgen eines Vollrausches.
Fingerring und Gewandbesatz sind aus hochwertigen Goldlegierungen gefertigt. Den Ring schmückt ein großer Smaragd. Steinfassung und Ringschulter waren ursprünglich mit verschiedenfarbigem Email reich dekoriert: Purpur, Rot, Blau, Weiß, Hellgrün und vermutlich Braun machten die Fingerzier in Verbindung mit dem satten Goldton und dem dunkelgrünen Edelstein zu einem echten Hingucker. Der Gewandbesatz ist als durchbrochene Wirbelrosette gestaltet und aus mehreren Einzelteilen zusammengesetzt. Auch er ist mit einem Smaragd bekrönt sowie mit weißem und rotem Email verziert. Auf zeitgenössischen Gemälden ist zu sehen, dass derartige Kleidungsbesätze in größeren Stückzahlen vornehmlich an Dekolleté und Ärmeln aufgenäht waren. Die beiden Schmuckstücke datieren in die Zeit um 1600 und gehörten zweifellos einer vornehmen Dame.
Natürlich drängt sich die Frage auf, wer diesen herben Verlust zu verkraften hatte. War es eine Bewohnerin des Hofes oder eine Besucherin, der bei der Abortnutzung der Ring vom Finger glitt und zu allem Überfluss noch der Gewandbesatz abriss? Ausgegraben wurden die Kleinode in einer Fäkalschicht aus dem zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts, also aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648). In jenen Jahren lebte der angesehene und vermögende Jurist Heinrich Heisterman mit seiner Familie auf dem väterlichen Erbe bis zu seiner Verhaftung 1634 und anschließender Flucht. Danach wohnte hier sein Bruder Johann, der dem Corveyer Fürstabt Johann Christoph von Brambach und seinem Hofstaat auf dem Anwesen von 1636 bis 1638 Asyl gewährte. Anschließend wurde der Hof von Corvey beschlagnahmt. Der inzwischen heimgekehrte Heinrich erhielt jedoch das Wohnrecht. Nach zahlreichen Rechtsstreitigkeiten, Tätlichkeiten und drohenden Tumulten in der Bürgerschaft gelangte der Hof 1647 wieder in seinen Besitz. Schon dieser kurze Abriss der ständig wechselnden Bewohnerschaft in diesen Jahren lässt erahnen, dass die Suche nach der Dame mit dem Smaragdschmuck der Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleichkommt.
Andreas König
Archiv
Stadtarchäologie Höxter (nicht öffentlich zugänglich)
Weiterführende oder zitierte Literatur
Andreas König, Edelsteine, weißes Gold und exotische Getränke – Sachkultur auf einem frühneuzeitlichen Adelshof in Höxter. In: Thomas Otten/Hansgerd Hellenkemper/Jürgen Kunow/Michael M. Rind (Hrsg.), Fundgeschichten – Archäologie in Nordrhein-Westfalen. Ausstellungskatalog Köln, Herne. Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen 9 (Mainz 2010) 278–282.
Cornelia Lange/Holger Reimers, Einblicke in adlige Wohnkultur am Ende des 16. Jahrhunderts. Der Adelshof Heisterman-von-Ziehlberg in der Westerbachstraße 35/37. In: Sparkasse Höxter (Hrsg.), Hofstube und Frauenzimmer. Renaissance in Höxter. Kulturgeschichtliche Beiträge der Sparkasse Höxter 8 (Brakel 2006) 19–42.
Wolfgang Leesch, Adels- und Klosterhöfe zu Höxter. In: Wolfgang Leesch (Hrsg.), Alt-Höxter. Bürgerbauten, Adels- und Klosterhöfe. Höxtersches Jahrbuch 3/4 (Höxter 1952/1953, Neudruck 1960) 31–66.
Wolfgang Schindler, Geschichte und Stammfolge der Familie Heistermann (Heisterman von Ziehlberg). Westfälische Zeitschrift 158, 2008, 235–350.
Ruth Tegethoff/Eugen Müsch/Andreas König, Zur Herstellungstechnik von zwei spätrenaissancezeitlichen Schmuckstücken aus Höxter. Archäologie in Westfalen-Lippe 2009, 2010, 235–238.